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AutorenbildJörg Luibl

Als ein Marvelmagier die Dungeons prägte


Einige von euch sind diese Woche vermutlich in Marvel's Spider-Man 2 auf der PS5 unterwegs, für das Insomniac Games gerade richtig gute Kritiken erhält. Warum ich bisher nicht ganz so erpicht auf Peter Parker bin, habe ich in der Vorschau auf Oktober mit Ben diskutiert. Wer weiß, vielleicht muss ich erstmal durch die Wolkenkratzer cruisen. Zumindest war ich gedanklich schon zu Besuch bei Marvel, als ich mit Jochen Gebauer die vierte Folge Double XP aufnahm - die dürfte erst nächste Woche online gehen, übrigens mit dem Fokus auf japanische Rollenspiele.


Aber was hat die Geschichte dieses Genres jetzt mit dem Comicverlag aus New York zu tun? Da gibt es einige Gemeinsamkeiten und sogar einen direkten Bezug zu Dungeons & Dragons (D&D). Aus historischer Sicht teilen beide Unterhaltungsformen sowohl den starken Einfluss auf ihre Gegenwartskultur, aka die Jugend, als auch die gesellschaftliche Ächtung. Das konservative amerikanische Establishment bekam spätestens in den 50er Jahren Angst um die Kids, die sich in gewalttätige Superhelden verwandeln könnten. Und in den 80er Jahren fürchtete man sich derart vor Rollenspiel-Satanismus in Schulkellern, dass man Tom Hanks in seiner ersten Hauptrolle (Mazes & Monsters) sogar im Kino vorwarnen ließ.


Das konnte die Kreativköpfe und Geschichtenerzähler beider Lager natürlich nicht davon abhalten, sich gegenseitig zu inspirieren. Auch die Erfinder von D&D, Gary Gygax und Dave Arneson, waren nicht nur passionierte Wargamer sowie eifrige Leser von Pulp Magazinen wie Amazing Stories oder Weird Tales, sondern kannten natürlich viele Comics. Die Kioske und Straßen wurden von Bildwelten aller Art regelrecht geflutet. Aber als sie ihr Pen&Paper-Rollenspiel 1974 veröffentlichten, gab es in ihrem Bereich noch eine visuelle Lücke.


Heutzutage, im Zeitalter der tausend Fantasystile vom Pixelpriester über den Smartphonegandalf bis zum Gemäldemagier, kann man sich das vielleicht gar nicht vorstellen. Zwar gab es Illustrationen für Bücher wie Der Herr der Ringe, aber die wirkten teilweise eher künstlerisch und pädagogisch als abenteuer- oder gar kampflustig. Sprich: Anfang der 70er spukten noch keine tausend Archetypen vom Dunkelelfen-Assassinen bis zum Waldelfen-Druiden durch die Köpfe. Und das simple D&D-Prinzip von Kampf, Beute, Levelausftieg und Heldenfeier in der Schatzkammer war gerade erst geboren.


Was kommt also auf die Box oder die Cover der ersten D&D-Hefte? Wie sieht so ein Zauberer oder Krieger eigentlich aus? Oder eine anderes Klasse? Da Gary Gygax das neue Regelwerk ohnehin in die Nähe kämpfender Superhelden designte, lag die visuelle Inspiration durch Marvelcomics zwar nah. Aber wer sollte daraus einen Stil entwickeln? An dieser Stelle kommt u.a. Greg Bell ins Spiel, der als Künstler leider oft in der Geschichte dieses wunderbaren Hobbys vergessen wird.


Man darf bei der Beurteilung nicht vergessen: Als er anfing, für die D&D-Hefte zu zeichnen, war er noch ein Schüler auf der Highschool. Er kannte Gygax und Arneson aus Illinois, hatte für TSR schon 1973 an Cavaliers and Roundheads (Tabletop-Gefechte im englischen Bürgerkireg) gezeichnet, war angesichts des neuen Themas begeistert und passte natürlich in das günstige Anforderungsprofil der frisch gegründeten Firma. Er wurde also nicht etwa fest angestellt, war auch nicht der einzige Zeichner, sondern arbeitete wie die anderen nebenbei.


Wenn man heute durch die drei ersten braunen D&D-Hefte namens Men & Magic, Monsters & Treasure und The Underworld & Wilderness Adventures von 1974 blättert, muss man angesichts der teils fahrigen bis primitiven Zeichnungen schmunzeln. Das sieht stellenweise aus wie in einer schnell bebilderten, wild zusammen gestellten Schülerzeitung. Aber zwischendurch blitzt schon etwas von dem auf, was diese Fantasywelt später prägen sollte. Und auch die Comics trugen ihren kleinen Teil dazu bei. Denn der junge Greg Bell fand seine Inspiration oftmals in der Marvelreihe Strange Tales.


Darin geht es bekanntlich um einen Doktor, der gleichzeitig Magier mit Zugang zum Übersinnlichen und Mystischen ist. Sie lief von 1951 bis 1968, hatte dann Pause, wurde aber kurz vor der Veröffentlichung von D&D im Jahr 1973 wiederbelebt. Es waren wohl Motive aus Strange Tales, die dem Teenager u.a. als Vorlage für den Krieger auf einem aufbäumenden Pferd dienten, der die (heute berühmte) Box von 1974 zieren sollte. Einige wie der Zauberer oder der Barbar wirkten fast wie Kopien mit anderer Kleidung bzw. Waffen - da hatte er sich die Haltung der Marvelhelden sehr gut abgeschaut.


Aber viele weitere Figuren und Monster sollten über die Jahre folgen, die davon unabhängig waren, darunter Zwerge und vor allem der Echsenkrieger, der als Icon mit Langaxt immerhin bis 1978 alle Boxen von D&D zierte, bevor er von einem Zauberer verbannt wurde. Man darf ja nicht vergessen, dass Greg Bell für Gygax auch komplett neue Kreaturen wie einen Betrachter erschaffen sollte. Wie zeichnet man diese Kreatur, wenn selbst die Mythologie keine Vorlage hergibt? Die erste Version war übrigens ein Fehlschlag, denn Gygax notierte dazu: Nein. Und: Nicht verwenden.


Selbst wenn sich der Stil von Greg Bell nicht durchsetzen sollte, in der Rückschau andere frühe Illustratoren wie David C. Sutherland, der noch mehr klassische Monster (Mimic, Hobgoblin, Gedankenschinder etc.) entwarf, oder ein Larry Elmore, der den berühmten roten Drachen der Red Box von 1983 beisteuerte, vielleicht einflussreicher für die heutigen Fantasymotive waren, und sich D&D letztlich künstlerisch mehrfach wie eine Schlange häutete, so hat er in so jungen Jahren bereits eine bemerkenswert kreative Pionierarbeit für diese Firma und diese Fantasywelt geleistet.


Er hat für die weiße Box von 1975 übrigens auch den ersten Eulenbären (Owl Bear) der Fantasygeschichte entworfen, dem manch einer von euch vielleicht kürzlich in einer Höhle von Baldur's Gate 3 begegnet ist. Wer sich für die Geschichte der Kunst hinter der Fantasywelt interessiert, sollte auf keinen Fall dieses sehr gut recherchierte Werk verpassen: Dungeons & Dragons Art & Arcana: A Visual History, 2018 bei Penguin Random House erschienen und für zahlreiche Awards nominiert.


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4 Kommentare


DECVRIO
DECVRIO
20. Okt. 2023

Jetzt weiß ich, wo der "Owlbear" aus Dragons Crown seinen Ursprung hat. Aber hätte ich mir denken können, dass das keine eigene Kreation war. 😅

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alex.strellen
19. Okt. 2023

Auch wieder ein sehr informativer Text. Vielen Dank dafür! Mit Begeisterung habe ich gerade in den verlinkten PDFs der ersten braunen D&D Hefte gelesen.

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dave_mania
19. Okt. 2023

Sehr cool! Wieder was neues lernen dürfen. Herzlichen Dank 😊

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Qugart
Qugart
18. Okt. 2023

Ich hab irgendwann mal eine Doku aus Amerika gesehen, in der gings um Comiczeichner. Ich kann mich da dunkel daran erinnern, dass Bell sich ziemlich bei Jack Kirby (Nick Fury) "bedient" hat. In der Comic-Szene nennt sich das ja "swiping".

Gygax und Arneson hatten damals ja jeden, den sie in die Finger bekamen, zum illustrieren verpflichtet.


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