top of page
AutorenbildJörg Luibl

Angelsachsen, Aliens und die Anfänge der Space Opera

Als Robert William Cole (1869 - 1937) im Jahr 1900 den Roman "The Struggle for Empire: A Story of the Year 2236" veröffentlichte, nahm niemand - bis auf den bibliophilen Elliot Stock, der immerhin auch Robinson Crusoe in seinem Verlag herausbrachte - Notiz davon. Warum sollte sich ein Londoner dafür interessieren, gegen wen man in dreihundert Jahren kämpft? Und wer sollte das überhaupt sein? Etwa die Amerikaner? Die konnten ja nicht mal die Philippinen kontrollieren!


Okay, da war noch der russische Zar, mit dem man sich einen Wettlauf um die Herrschaft in Asien lieferte. Aber den würde man wie schon im Krimkrieg (1853-56) mit Verbündeten besiegen. Es war ja gar keine Frage: Großbritannien dominierte glorreich das Weltgeschehen, man war auf dem Meer unbesiegbar und hatte fast alle Kolonien durch Telegrafen verbunden. In dieser Zeit, der so genannten Pax Britannica, dachte man weiter nur an Expansion, sowohl machtpolitisch, technologisch - als auch literarisch.


Jedenfalls nahm die "angelsächsische Rasse" in der (nur 45 Seiten kurzen) Geschichte des 31-jährigen Cole den Weltraum ins Visier, nachdem man die Erde erobert und dort keine Feinde mehr hatte. Hier der Einstieg, in dem an der Themse bereits die Hauptstadt der Welt liegt und die britannische Hybris so richtig erblüht:


"It was early in the morning of the 10th of June, in the year 2236. The sun rose in unrivalled splendour over the immense city of London, the superb capital, not only of England, but of the world, the Solar System, and the stars. It tipped the vast palaces with its golden rays; it flashed its light upon towers, domes, and cupolas; it drove away the sparkling dew and curling vapour from the masses of superb foliage and gorgeous flowering plants that rolled like oceans of precious stones around the towering buildings of the great city. Millions of human beings awoke to a new day of pleasure or labour, of joy or sorrow, but the brilliant King of Day ascended his appointed path through the sky unheeding and careless of the petty affairs of men."


Erst weit weg im Sirius-System, auf einem Planeten namens Kairet, begegnet man einem ähnlich starken Imperium, mit einem ähnlich dominanten Geschichtsverständnis. Und wie so oft, wetteifert man mit den menschenähnlichen "Sirians" erst um die wirtschaftliche Vorherrschaft, bevor der Konflikt im vielleicht ersten Star Wars der Literaturgeschichte eskaliert.


"The sixth division, under Admiral Enham, was ordered to advance and commence the attack. As they moved forward in a long line a powerful division of the enemy advanced to meet them. When they were within two miles of each other the sixth division opened fire, and the Sirian ships immediately replied. Long jets of white fire some hundreds of yards in length leapt from the sides of every ship, and were followed by great clouds of white vapour that rushed through space with the speed of a tempest. These rolled along until they hit against another ship, when they were shattered to pieces and filled the space around with a dim mistiness. Every now and then a column of vapour burst forth from the side of some vessel when the metal sheathing was pierced and the imprisoned air rushed out."


Es gibt in der Geschichte von Cole zwar weder Jedi noch Laserschwerter, aber galaktische Imperien und Raumschiffe, die "ten millions miles per hour" fliegen. Das liest sich eher wie die Beschreibung eines Seekriegs, aber mit dabei sind Technologien wie die Anti-Schwerkraft, das Fernsehen sowie elektromagnetische Waffen. Es kommt sogar zum großen Finale, als die Aliens die angelsächsische Flotte besiegen und mit Invasionstruppen auf der Erde landen - Edward James vermutet in seinem Essay Science Fiction by Gaslight von 1995 übrigens die Deutschen als Vorbild für diese aggressiven Feinde vom Sirius.


Zwar hatte sich Cole dafür sehr wahrscheinlich auch von H.G. Wells' Krieg der Welten inspirieren lassen, bei dem bekanntlich die Marsianer mit ihren Dreibeinern auf der Erde landen, und das seit 1897 in London als Fortsetzungsroman und 1898 als Buch erschien. Außerdem darf man die futuristischen Impulse von Jules Verne nicht vergessen. Aber die beiden heute so berühmten Autoren inszenierten noch keine Weltraumgefechte zwischen riesigen Flotten, die aus tausenden Raumschiffen bestehen - das war etwas Neues. Es gibt natürlich auch einen Helden im Stile eines Captain Future namens Lieutnant Alec Brandon samt Affäre.


Aufgrund dieser Merkmale sowie der heroischen Grundzüge mit einem Kampf um die Menschheit bezeichnete Brian Ash den Roman in seiner 1977 (natürlich in London) erschienen Enzyklopädie der Science-Fiction sogar als erste Space Opera. Aber wie immer lässt sich darüber natürlich streiten, denn für die Amerikaner gilt einer der ihren als Vater derselben: E.E. Smith (1890-1965), dessen "The Skylark of Space" erstmals 1928 im Pulp-Magazin Amazing Stories (Vol. 3, Nr. 5) erschien.


Der Held Dick Seaton baut darin ein Raumschiff, reist ins Weltall, besucht fremde Planeten, befreit weibliche Geiseln und kämpft gegen den Bösewicht Marc "Blackie" DuQuesne - das Ganze liest sich wie ein Western mit James-Bond-Anleihen im Weltall und war stilistisch nicht besonders gut. Aber diese Geschichte hatte in Amazing Stories natürlich eine andere Wirkung als ein Buch in einem Londoner Nischenverlag. Im Gegensatz zur unbekannten Story des Briten Cole wurde diese populär und dreimal fortgesetzt, sogar bis 1965.


Auch wenn man den etwas späteren Captain Future von Edmond Hamilton nicht vergessen darf, der seit 1940 erschien und ebenfalls alle Merkmale dieses Subgenres bediente, gilt The Skylark für einige Experten als wegweisende sowie erste Space Opera. Isaac Asimov nannte sie den "ersten großen Klassiker der amerikanischen Science Fiction." Das schien schließlich auch ein berühmter Brite anzuerkennen, denn Arthur C. Clarke (1917-2008), der spätere Großmeister der Weltraum-Odyssee, nannte ein Raumschiff in seinem Roman Islands in the Sky von 1952 immerhin The Skylark of Space. Und das angelsächsische Imperium? Es wurde nie ins Deutsche oder andere Sprachen übersetzt, wurde vergessen und gilt als antiquarische Rarität. Aber...


...jetzt das Spannende, bei dem sich mal wieder Literatur- und Spielgeschichte begegnen: Denn "The Struggle for Empire" sollte Marcus L. Rowland, von 1997 bis 1999 Kolumnist des Odyssey-Magazins, der u.a. über Vampire und GURPS schrieb, mal als Quellmaterial für sein eigenes Pen&Paper-Rollenspiel namens Forgotten Futures dienen. Das ist zwar nie passiert, und ich kannte bisher weder diesen Autoren noch sein Spiel. Aber er hat Coles' Geschichte eingescant und stellt sie - wie sein komplettes "Scientific Romance Role Playing Game" - kostenlos als PDF zur Verfügung. Da haben Space und Opera doch auf wundersame Art zusammen gefunden und eine fast vergessene Geschichte gerettet. Viel Spaß bei der Lektüre!


Vielen Dank an alle Steady-Unterstützer, die dieses kleine Spiele-Magazin mit ihrem Abo möglich machen. Es würde mich freuen, wenn ihr auch an Bord kommt!

7 Comments


Ei, das war mal wieder ein schöner Ausflug abseits ausgetretener Pfade.


Space Opera finde ich ein schönes Thema mit Christian. Meine Lieblings Space Opera und gleichzeitig eines meiner Lieblingsbücher ist Hyperion von Dan Simmons. Ich lese nie Sachen doppelt aber wenn ich darüber nachdenke, bei Hyperion könnte man mal eine Ausnahme machen.


Nachtrag: Ich hatte gar nicht gesehen, dass es schon in der Schatzkiste gelandet ist. 😅

Edited
Like

Ach so: Am Freitag sprech ich mit Christian Endres im Podcast nochmal ausführlicher über die Space Opera.;)

Like

Interessante Einblicke.

Was Space Operas betrifft (aber das ist viel zu groß, um es kurz zu machen), gehört auch das bereits 1912 erschienene erste Buch des „Under the Moons of Mars“-Zyklus „John Carter: The Princess of Mars“ dazu, bzw. das Gesamtwerk von Edgar Rice Burrourghs. (wahrscheinlich besser bekannt als Autor der Tarzan-Romane)

Kein Werk insgesamt hatte wohl soviel Einfluss und diente als Inspirationsquelle mehr für das, was man heute unter Popkultur-SciFi versteht.

Sogar George Lucas gab an, seine Hauptinspirationsquelle bei der Entwicklung von Star Wars waren die John Carter Romane.

Like
Replying to

Ah, ok.

Bin eigentlich kein „Podcast-Typ“, aber höre ich mir trotzdem gerne mal an.

Edited
Like

Qugart
Qugart
Apr 23

Vergessen darf man aber auch nicht, als der König des Mondes gegen den König der Sonne Krieg um den Morgenstern führte. Miterlebt und aufgeschrieben von Lukian von Samosata im 2. Jahrhundert nach Christus.

Like
Replying to

Jo. Der olle Lucianus, hat so viel produziert und muss man natürlich in original attischem griechisch lesen, sonst verpasst man was :-)

Like
bottom of page