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Breitseite #13: Sechs Spiele, sechs Kritiken

Herzlich willkommen zur Breitseite. Das ist ein Format, mit dem ich all das anvisieren möchte, was es vermutlich nicht in eine ausführliche Rezension schafft. Das liegt manchmal an der Qualität, aber meist an der fehlenden Zeit. Hier gibt es also nur Kurzkritiken zu Spielen, die zwar in mein Beuteschema passen, aber die ich vielleicht nicht länger als ein paar Stunden gezockt habe.


Ich weiß nicht, ob ich mit diesen frühen Einschätzungen den Kern treffe, aber bisher haben mich nur wenige Spiele nachträglich faszinieren können, die nicht schon früh überzeugen konnten. Um die Spannung ein wenig zu erhöhen und eine Gewichtung anzubieten, werde ich mich jeweils vom schwächsten bis zum stärksten Eindruck hochschießen.


In der letzten Breitseite hat übrigens nur das komplett komboverrückte Pokerspiel Balatro sehr gut abgeschnitten, es folgte das surreal verwachsene Metroidvania Ultros mit einer guten Einschätzung. Diesmal dabei, hier noch in alphabetischer Reihenfolge: Dave the Diver, Inkulinati, Learn Chess with Dr. Wolf, Manor Lords, Stellar Blade und TopSpin 2K25.

Okay, denn man tau und Feuer frei - hier kommt die Breitseite:





Top Spin 2K25...


...ist für knapp 60 Euro für PC, PS4/5 sowie XBS erschienen. Ich hab mich darauf gefreut, weil ich neben Fußball gerne Tennis gespielt habe. Vor allem in der glorreichen Zeit von Virtua Tennis auf Dreamcast hat mir das seit 1999 dutzende Mittagspausen versüßt. 2003 bekam dieser ebenso rasante wie taktische Arcade-Spaß simulative Konkurrenz von Top Spin auf der Xbox, das sich bei 2K zu einer Sportspielreihe entwickelte. Die schaffte es zwar genauso wie Virtua Tennis nur bis zu einem vierten Teil im Jahr 2011, aber deklassierte die Konkurrenz von Sega bei ihrem Abschied auf PS3 und Xbox 360.


Rein spielmechanisch war das guter Sport. Aber der Online-Modus war viel zu wankelmütig, die enttäuschenden Verkaufszahlen lagen hinter dem dritten Teil und seit über einem Jahrzehnt wollte der Publisher nicht mehr mit dem 2K-Team aus Tschechien aufschlagen. Jetzt ist es wieder so weit, mit dem neuen Entwickler Hangar 13, der bezeichnender Weise auch Mafia III gemacht hat. Denn schon im Einstieg bekommt man quasi die Pistole auf die Brust gesetzt: Nach der Installation auf der PS5 muss man sich verpflichtend bei 2K Games registrieren, selbst wenn man nur offline spielen will. Und für die Solo-Karriere muss man tatsächlich online sein.



Wenn man diese nervige Hürde überwindet, begegnet man zwar der Prominenz der glorreichen Filzballgeschichte in Gestalt von John McEnroe als Spieler und Ratgeber samt Sprachausgabe. Und später grüßen sogar Andre Agassi und Steffi Graf aus dem recht kleinen Aufgebot an männlichen und weiblichen Profis. Aber die großen Namen können nicht darüber hinweg täuschen, dass so einiges seltsam künstlich (wie sieht denn bitte Roger Federer aus?), KI-generiert und hinsichtlich des Figurendesigns veraltet wirkt. Hinzu kommt, dass die Kamera gerne in klatschende Zuschauerzombies zoomt und dass der gute John zig mal dieselben Kommentare abgibt. Sprich: Auf den ersten Blick sieht das Spiel gut aus, aber auf den zweiten wird die Produktionsqualität nicht dem aktuellen Stand der Technik gerecht.


Außerdem wirkt die Karriere, in der man seinen Star wie in einem Rollenspiel mit Fähigkeiten für Tempo, Ausdauer etc. entwickeln kann, irgendwann einschläfernd redundant und bietet kaum Abwechslung. Das beginnt im Training, wenn man auf sehr penible Art, fast in Trial&Error-Manier, die wichtigen Techniken über das ganz kurze Antippen oder für stärkere Schläge das Gedückthalten samt Loslassen einstudiert. Auch später muss man einige Geduld aufbringen, um gute oder perfekte Bälle zu spielen, denn die eigene Position und Dosierung der Kraft ist sehr wichtig, denn man verliert Ausdauer.


Das perfekte Timing war ja schon immer relevant für die Reihe und wenn man das verinnerlicht, kann das zu tollen strategischen Ballwechseln führen, in denen man Aufschlag, Slice, Topspin, Stop und Lob je nach Bodenbelag clever einteilen muss. Also, nicht falsch verstehen: Das Spiel selbst macht auf dem Platz richtig Laune, wenn man die Finessen der Steuerung verinnerlicht und einen etwa gleichwertigen Gegner gefunden hat. Die KI ist das leider nur bedingt, denn vor allem die Returns nach Aufschlag und damit Breaks kann man bei einigen fast sicher einkalkulieren.


Aber ich werde Top Spin trotzdem nur so lange installiert lassen, bis ich mit Ben einige Online-Matches auf der PS5 ausgetragen habe; zumal 2K die Server für den Online-Modus, der ja auch offline relevant ist, nur einige Jahre garantiert. Abgesehen davon, dass der Netzcode mal wieder alles andere als optimal ist, gibt es ein noch viel größeres No-Go für mich, und zwar in Form eines Shops samt Mikrotransaktionen. Der bietet nicht nur Kosmetik an, sondern für Echtgeld spielrelevante Gegenstände und damit unverschämtes Pay-to-win in einem Vollpreisspiel. Und damit ist dieses spielmechanisch gute Top Spin 2K25 für mich nicht nur, aber vor allem eine spielpolitische Ernüchterung.


Stellar Blade...


...ist am 26. April für PlayStation 5 erschienen. Ich hatte ja bereits in der Flaschenpost #97 angerissen, dass das Spiel aus Korea bei mir nicht zündet und im Podcast mit Eike etwas mehr erzählt. Der Vollständigkeit halber wiederhole ich nochmal das Wesentliche in dieser Breitseite. Zuerst das Positive, das übrigens nicht nur bei Ben überwiegt, und der sogar das "perfekte Actionspiel" mit fünf von fünf Sternen in seiner Rezension bei Eurogamer ausgezeichnet hat. Und beipflichten kann ich ihm beim gelungenen Kampfsystem, das sehr schnelle Gefechte sowie Ausweichen und vielfältiges Kombinieren ermöglicht.


Die Zeitfenster für Konter und Riposten sind toleranter als etwa in einem Sekiro oder Lies of P, so dass man schneller in einen Spielfluss samt Kombos kommt, die natürlich gegen teils spektakuläre Bosse wichtig sind. Das Springen und Klettern in den halb offenen Gebieten, die Rätsel und das etwas zu durchschaubare Leveldesign haben mich nicht so überzeugt, aber es gibt auch einige kreative Überraschungen und es kommt nicht von ungefähr, dass manche Vergleiche zu Nier: Automata gezogen werden. Warum hab ich das Spiel also nach zwei, drei Stunden deinstalliert?



Weil mich die Science-Fiction-Welt samt ihrer Story, der Dialoge, der Musik und vor allem das Charakterdesign der Heldin einfach nicht abgeholt haben - und sogar für Fluchtreflexe sorgten. Ich mag Überzeichnungen, ich mag Mangas, es darf auch freizügig sein. Aber ich fühlte mich wie in einer futuristischen Seifenoper mit Fanservice in High Heels, musste die Musik frühzeitig stumm schalten und wurde trotz technisch ansehnlicher Kulisse sowie einiger cooler Kreaturen nicht wirklich in dieses Abenteuer gelockt.


Obwohl es explizite Gewalt gibt, wirkte die Heldin auf mich wie eine künstliche Figur ohne Bodenhaftung. Es ist also weniger die Spielmechanik als vielmehr die Ästhetik, die mich in diesem Fall ernüchtert. Und weil ich in den letzten Jahren gefühlt dutzende Soulslikes gespielt habe, kann mich eine gelungene Kampfmechanik alleine nicht mehr dazu bringen, in ein weiteres abzutauchen. Für mich ist eine Identifkation mit der Welt dahinter sowie die Atmosphäre auf dem Weg zum Boss wesentlich wichtiger. Es ist schon seltsam, denn im Bereich des Films können mich koreanische Regisseure schon seit Jahren eher überzeugen als in Videospielen. Es gibt bisher nur eine Ausnahme, auf die ich noch zu sprechen komme.


Learn Chess with Dr. Wolf...


...ist 2020 für Android sowie iOS erschienen und vom kalifornischen Online-Schachriesen Chess.com entwickelt worden, bei dem nach Übernahmen an die 650 Leute arbeiten. Als ich mich mal von grundauf mit Schach beschäftigen wollte, hab ich mich auf der Suche nach einer App komplett im Dschungel der Angebote verirrt - von Chess King bis Magnus Trainer. Irgendwann hat mich das Artdesign von Dr. Wolf angelockt; vermutlich hat mich das vergilbte Papier an Spielvertiefung erinnert oder einen bibliophilen Nerv getroffen. Ausschlaggebender war jedoch der Hinweis auf einen interaktiven Schachlehrer, der in Echtzeit die Züge kommentiert.


Das klang interessant, denn ich wollte keine Theorie lesen oder YouTube schauen. Und so einen simulierten Chess Master, der im Labyrinth der Möglichkeiten die eigene Taktik bespricht, kannte ich bis dato nicht. Der Haken an der Sache war das Abomodell für etwas über fünf Euro monatlich oder knapp 38 Euro pro Jahr, denn das mag ich bei Spielen überhaupt nicht - ich zahl am liebsten einmal und fertig. Zumal es im Schach genug Alternativen dieser Art gibt, wie etwa Schach Pro, das ich mir mal kaufte, weil es so viele klassische Partien von Emanuel Lasker bis Bobby Fischer bietet. Und wer kostenlos sowie werbefrei spielen will, geht zu Lichess.org und anderen.


Allerdings war die Neugier auf Dr. Wolf zu groß. Wer den älteren weißhaarigen Mentor nicht mag, kann auch drei andere männliche oder weibliche Avatare wählen, jeweils mit eigener Persönlichkeit. Das Besondere ist, dass man hier nicht nur wie üblich die Regeln und Taktiken mit zig Statistiken lernt, sondern dass dabei eine recht angenehme kommunikative Atmosphäre entsteht. Der Trainer denkt laut über die Züge nach, in meist natürlich wirkenden Texten, die vertikal nach unten hin erscheinen, was mich ein wenig an das Dialogsystem von Sorcery! erinnert hat.


Er gibt geduldig Hinweise zur Situation, lässt das Spiel manchmal laufen, auch in die falsche Richtung. Wenn man möchte, kann man seine eigene Idee dann einfach weiter verfolgen, ihn erst um einen Hinweis oder direkt die Lösung bitten. In Multiple-Choice-Dialogen entsteht also eine Schüler-Lehrer-Interaktion in beide Richtungen. Das animiert mich zumindest mehr zum Mitdenken als eine klassische Fehleranalyse, zumal er als Charakter geduldig und zurückhaltend höflich auftritt. Man sieht nur sein Portrait, es gibt keinerlei Animationen und eine insgesamt sehr ruhige Inszenierung.



Nach einigen Partien ordnet Dr. Wolf die Spielstärke ein, man kann die Schwierigkeit gegen ihn in mehreren Stufen anpassen und in empfohlenen Übungen trainieren. Er merkt sich häufige Fehler, bespricht sie gezielt und lobt Fortschritte. Laut Entwickler soll das für Einsteiger und geübte Schachspieler mit einer Wertung bis 1300 bei Chess.com sinnvoll sein. Und da ich schon froh bin, wenn ich die 1100 halte, reicht mir das. Leider fehlen Eröffnungen komplett im Repertoire und man vermisst Schachbretter mit anderen Farben oder stärkeren Kontrasten, denn die Kulisse kann auf Dauer etwas dröge wirken. Aber das ist eine solide bis gute Trainings-App für alle, die ihr Schach auf eine etwas persönlichere Art in einem gediegenen Stil verbessern wollen.


Inkulinati...


...ist am 22. Februar 2024 für PC sowie alle Konsolen erschienen und kostet knapp 20 Euro. Ich hab mich auf der PlayStation 5 in die Welt der buchmalerischen Rundentaktik begeben, nachdem ich die Version vom PC ja schon kannte. Gleich vorweg: Man braucht ein wenig Geduld, um sich mit der Steuerung am Gamepad sowie den Abläufen vertraut zu machen, denn Inkulinati ist nicht nur visuell, sondern auch spieltaktisch ungewöhnlich. Aber wer Lust auf innovative Abwechslung hat und vielleicht Fantasy im Stil von Terry Pratchett mag, der dürfte auf seine Kosten kommen.


Als Freund des Mittelalters hat es mich nämlich gefreut, dass endlich mal die witzige Seite dieser oft als dunkel und düster bezeichneten Epoche zur Geltung kommt. Denn die Leute hatten schon vor weit über fünfhundert Jahren reichlich Humor, von dem es einiges bis hinein in thematisch ernste Manuskripte geschafft hat, sei es als offizielle Zeichnung oder versteckte Randnotiz. Und dieser Humor wird in Form von fantasievoll gezeichneten Figuren lebendig, die von links nach rechts in den meist mehrstöckigen Kampf ziehen.



Für das Artdesign ließ sich Team von Yaza Games direkt von Bestiarien des Mittelalters inspirieren, wie etwa das Bréviaire de Renaud de Bar aus dem 13. Jahrhundert - es steckt also einiges an authentischem Quellmaterial in diesem Spiel. Der Kampfhase ist z.B. keine Erfindung, denn Tiere in Rüstung und Schwert wurden damals häufig gezeichnet, egal ob Hunde oder Schwäne. Selbst Trompeten in Ärschen samt Furzangriff oder Terrorkaninchen, die Ritter jagen, sind keine Erfindung moderner Scheibenwelten oder alkoholisierter Entwickler.


Laut Story befehligt man eine Gruppe dieser Inkulinati, die mit magischer Tinte belebt werden, die auch als Rohstoff dient. Dabei kann man als Ritter Godfrey eher kämpferisch oder als Nonne Hildegard, benannt nach der rheinländischen Benediktinerin und Mystikerin (1098-1179), mit Gebeten und Heilungen agieren. Ähnlich wie in Magic the Gathering gilt es, die Lebenspunkte des jeweiligen Meisters von zwanzig auf null zu dezimieren, indem man seine Nah- und Fernkämpfer clever bewegt; die Bogenschützen können mit einem Pfeilregen sogar mehrere Gegner treffen. Man schaltet dann immer mehr Kreaturen vom Hundespeerträger bis zum Katzenbischof frei.


Dabei kann man Leitern nutzen, Feinde in den Abgrund stürzen, Hindernisse verschieben und Explosionen auslösen. Also schießt der Hasenbogenschütze auf feurige Schalen, die explodieren und die dortigen Feinde vernichten. Oder Schnecken fressen einfach ihre Widersacher. Jedes Tier hat eigene Fähigkeiten und Werte, Reichweiten sowie einige historische Wechselwirkungen: Greift man z.B. einen Bischof an, wird man zum Ketzer. Ach so: Auch der Teufel höchstselbst ist als Boss dabei.


Zwar liegt der Fokus auf der Kampagne samt Story, die über eine Landkarte führt, aber es gibt auch Duelle und Hotseat. Rein erzählerisch ist Inkulinati nicht besonders spannend, die Steuerung kann auf der PS5 ein wenig fummelig sein und es wirkt in der Kampagne etwas spröde. Aber spieltaktisch erreicht es anspruchsvolles Niveau, zumal es recht ungewöhnliche Manöver sowie die Entwicklung der eigenen Truppen ermöglicht. Und je nach Situation können andere gemischte Waffengattungen sinnvoll sein. Was mal als Studienprojekt begann, kann sich in der finalen Version jedenfalls sehen lassen. Unterm Tintenklecks ist das ein ebenso originelles wie gutes Strategiespiel.


Manor Lords...


...ist am 26. April für knapp 25 Euro im Early Access auf dem PC erschienen. Dass es so einen Hype um diese Aufbaustrategie gibt, die sich auf Steam zum Verkaufsschlager und in den sozialen Medien zum Star entwickeln konnte, hat viel mit Sehnsucht zu tun. Nicht unbedingt nach einer heilen Welt, schließlich kann man im 14. Jahrhundert von Manor Lords kämpfen und muss sogar Leichengruben ausheben, aber nach einer Art von ferner Ruhe und Idylle. Im Angesicht einer immer hektischer anmutenden Realität, die jeden Tag vertikal auf dem Smartphone auf einen herein stürzt, bietet der horizontale Aufbau einer Siedlung in wunderschöner Kulisse samt Wald und Windmühle vielleicht den idealen Kontrapunkt. Und wer mal in Franken war, dem landschaftlich-historischen Vorbild für Nusslohe, Hofstetten, Eichenhain & Co, weiß ja, dass Uhren und Menschen da entspannter ticken.


Manor Lords reiht sich auf den ersten Blick in den jüngeren Trend der Cozy Games ein, die dem Stress des Alltags das entschleunigte Spielen wie etwa in Dorfromantik entgegen stellen. Und man kommt einem Zen-Gefühl recht nahe, wenn man die optionalen Kämpfe deaktiviert, auf der langsamsten Stufe spielt und ein Ochse in aller Seelenruhe zum nächsten Baumstamm trottet - da kann man schonmal einen Tee aufsetzen. Aber wenn die Überfälle aktiviert sind, erlebt man Wettbewerb und Kriegsführung, was mich vom Spielgefühl her, auch aufgrund des Mittelalters samt Söldnern sowie der ansehnlichen Landschaft, ein klein wenig an Wartales erinnert. Die Zeit am PC verging hier in ebenso epischer wie dahin fliegender Gemütlichkeit. Und falls einem der Ochse doch zu lange braucht, kann man um ein Vielfaches vorspulen.



Allerdings geht es in diesem Spiel auch ohne Überfälle um das Überleben, und zwar von zunächst fünf Familien, die dem Wetter und der Kälte, dem Hunger und Krankheiten trotzen müssen. Nicht so knallhart wie in einem Survialaufbau à la Frostpunk, es gibt auch keine moralischen Entscheidungen, aber doch weniger stromlinienförmig und angesichts der Jahreszeiten sowie der dynamischen Veränderungen auf natürliche Art fordernder und freier als etwa in einem ANNO. Im Frühling und Sommer sammelt man Beeren oder jagt, Weizen, Roggen und andere Feldfrüchte werden im Herbst geerntet und im Winter steigt der Feuerholzverbrauch. Die Fruchtbarkeit der Böden verändert sich, das Wild verschwindet bei zu viel Jagd, Felder sollten auch mal ein Jahr brach liegen und Bierliebhaber müssen schauen, wo es Flächen für Gerste gibt oder selbige importieren.


Je besser man seine Leute mit Nahrung, Kleidung und Annehmlichkeiten versorgt, desto zufriedener werden sie und neben mehr Nachwuchs kommen bald Zuwanderer. Weitere Familien sind sehr wichtig, denn man kann ihnen Arbeitsplätze zuweisen, um endlich aus dem Holz die wichtigen Bretter zu sägen, die man für die Ställe oder die Kirche benötigt. Oder einen Viehandel zu eröffnen, um endlich Schafe zu züchten und Wolle zu verarbeiten. Oder die Lehmgrube auszuschachten, um daraus die wertvollen Ziegel zu brennen, die beim Export hohe Erlöse bringen. Für all diese Arbeiten braucht man eine Familie, die wiederum ein vielfältiges Angebot vom Marktplatz sowie ein Haus benötigt.


Sowohl das Anlegen von Wegen als auch Höfen oder später Türmen und Mauern läuft angenehm intuitv, indem man Eckpunkte festlegt und recht flexibel eine Bauzone ins Gelände malen kann, in der die kommenden Grundrisse angezeigt werden. Auch die optionalen Ergänzungen von kleinen Gärten für Hühner und Gemüse sowie Schuppen für Handwerker kann man hier optimal einplanen. Es entsteht eine angenehme Schleife aus Gebäudebau, Personalmanagement und Entwicklung, aus dem kleinen wird ein mittleres Dorf und vielleicht eine Stadt samt Steinkirche, Herrenhaus und Burgmauer.


Allerdings leidet die Identifikation mit den Bewohnern, die alle eigene, meist deutsche Vornamen tragen und auch mal tratschen, darunter, dass sie sich beruflich nicht entwickeln und letztlich komplett austauschbar sind. Man kann die Bauernfamilie bei Bedarf einfach in die Schmiede schicken oder den Priester samt Anhang zum Händler machen. Das erhöht zwar die Flexibilität, denn so kann man Engpässen an Feuerholz, Nahrung etc. schneller entgegen wirken. Aber es sorgt für eine gewisse Beliebigkeit und das Figurenverschieben widerspricht der mittelalterlichen Realität, in der Berufe meist perfektioniert und innerhalb einer Familie tradiert wurden. Abgemildert wird das wiederum durch die spezialisierten Berufe wie etwa den Schuster oder Bogenbauer, die ihre Werkstätten in den Hinterhöfen ihrer eigenen Häuser haben, so dass ein Familienbezug entsteht.


Dass man sich um seine Leute sorgt, liegt auch an der Gefahr von außen. Denn falls Banditen oder sogar Armeen anderer Fürsten, wie etwa dem gierigen Hildebold von Beererneute, auftauchen, muss man eine Miliz aufstellen, die sich aus den Bewohnern rekrutiert. Und wenn da zu viele sterben, kann niemand ihre Arbeiten erledigen. Und die Tatsache, dass in diesem kleinen Spiel eines Solo-Entwicklers tatsächlich ein Hauch von Total War zu spüren ist, dürfte Militärtaktiker freuen. In null Komma nichts verwandeln sich Schafhirten und Holzfäller in kleine Kompanien von Schwertkämpfern, Speerträgern und Bogenschützen, falls man denn genug Waffen für sie gebaut oder importiert hat.


Man kann sie in Reih und Glied formieren, ihnen defensive und offensive Befehle geben und wird im Gefecht überrascht von einer auf das Wesentliche reduzierten und dabei sinnvollen Steuerung. Sogar das langsame Zurückziehen einer Reihe ist möglich, um den Gegner anzulocken. Es macht richtig Spaß, sich dieses Miniaturtotalwar mit den bunten Kriegerhaufen anzusehen (da ist auch Motion-Capturing eingeflossen, das Greg mit Freunden aufgenommen hat), die vom disziplinierten Schildwall bis zur panischen Flucht ansehnliche Reaktionen zeigen. Und die Zufriedenheit der Siedlung wirkt sich auch positiv auf die Moral ihrer Verteidiger aus. Ach ja, mit genug Kriegskasse kann man auch Söldner anheuern.


Es gibt noch so einige Tücken und Fehler, aber ich ziehe bereits meinen Hut vor einem so kleinen Spiel, das der großen Serie von Creative Assembly militärtaktisch kompetente Konkurrenz machen kann. Diese kriegerische Qualität war für mich jedenfalls überraschender als der zivile Aufbau, weil ich ihn in dieser Form schon kannte. Denn es gibt ein vergleichbares Spiel mit einigen nahezu identischen Abläufen namens Ostriv, das 2020 ebenfalls im Early Access erschien. Dort errichtet man als Gouverneur zwar eine Siedlung in der Ukraine des 18. Jahrhunderts, aber so manches hinsichtlich der Freiheit sowie der organisch wirkenden Landschaft und Architektur erinnert an Manor Lords. Es gibt keinerlei Kämpfe, aber das Managen von Gebäuden, Waren sowie die Entwicklung wirkt dort sogar noch reifer.




Auch das hat übrigens ein Solo-Entwickler ersonnen, der das Spiel seit 2014 in seiner Freizeit konzipiert. Und das Feedback von knapp 5000 Steamspielern ist ausgesprochen gut. Allerdings kommt Yevhen8 aus Kharkiv und musste seit dem russischen Angriffskrieg auf seine Heimat nahezu alle weiteren Planungen auf Eis legen. Es kann also sein, dass er noch mehrere Jahre bis zur finalen Version braucht. Ich wünsche ihm und seiner Familie jedenfalls alles Gute. Und das wünsche ich auch Grzegorz aus Polen, der mit Manor Lords schon jetzt ein tolles Spielerlebnis anbietet, das das bäuerlich Wirtschaftliche und das taktisch Militärische verbindet.


Seit 2017 tüftelt er an diesem Aufbau einer Siedlung, schon länger nicht mehr alleine, sondern mit personeller Unterstützung, und hat noch viel vor. Relevante Bereiche wie etwa die Diplomatie, die Entwicklung der universellen Fähigkeiten, die die Spezialisierung der Siedlung auf die vier Bereiche Handel, Militär, Sammeln oder Landwirtschaft erlauben, sowie die Gesetze wie etwa das strenge Fasten, sind nur auf den ersten Ebenen aktivierbar und in ihrer Wirkung gar nicht abschätzbar. Aber schon in dieser unfertigen Version hat mich Manor Lords gut unterhalten. Und ich freue mich schon auf das finale Spiel, das in ungefähr einem Jahr erscheinen soll - dann gibt es natürlich eine ausführlichere Rezension.


Dave the Diver...


...wurde ja schon letztes Jahr für den PC sowie Switch veröffentlicht und für seinen charmanten Comicstil sowie die Mischung aus Rollenspiel, Action-Adventure und Management international ausgezeichnet. Ich hab es damals ebenfalls in einer geheimen Rezension der Flaschenpost empfohlen. Aber am 16. April ist das Tauch- und Sushi-Abenteuer für knapp 20 Euro auf PS4 und PS5 erschienen und im PlayStation-Plus-Abo enthalten.



Ach so, noch etwas ist dabei, mit dem ich damals nicht gerechnet hätte: Wenn man die kostenlose Erweiterung Dredge lädt, kommen Fische mit Anomalien sowie Gestalten des Angel-Abenteuers von Black Salt Games hinzu. Da sitzen dann einige Kapuzenmänner an der Theke und verlangen nach Sushi der Lovecraft'schen Art. Diese überraschend zügige Kooperation zwischen dem koreanischen und dem neuseeländischen Studio gehört zu den sympathischsten Crossovern der letzten Jahre.


Also hab ich mir das Gamepad geschnappt und bin nochmal losgeschnorchelt. Tja, schon nach wenigen Minuten saß ich mit einem Lächeln auf der Couch, wippte im Takt der Musik und hatte Spaß. Dabei wird der arme Dave, der einfach nur chillen und Sushi essen will, von allen Seiten ausgenutzt und gestresst. Aber innerhalb der karibisch anmutenden Pixelkulisse entsteht ein unterhaltsamer Flow mit viel Situationskomik und Urlaubsflair. Und es schäumen immer mehr spielerische Aufgaben und Quests auf, während sich Dave vom Hobbytaucher zum Abenteurer und Manager entwickelt, der wider Willen immer besser wird.


Ähnlich wie im Angel-Abenteuer Dredge kommt auch ohne die Erweiterung mysteriöses Flair hinzu, denn etwas Riesiges und Monströses lauert in der Tiefsee; außerdem gibt es Gerüchte über eine versunkene Zivilisation. Tagsüber springt man also ins azurblaue Wasser und taucht in seitlicher Perspektive von oben nach unten ab, versucht mit der Harpune diverse Fische zu fangen, die archviert und beschrieben werden. Dabei muss man auf den Sauerstoff sowie die Traglast achten, kann Delphinen helfen oder von Haien gejagt werden und muss im Zweifel fliehen oder mit quietschenden Hämmern, Schock-Harpunen oder sogar Scharfschützengewehren kämpfen.


Die Steuerung mit dem Gamepad ist schnell verinnerlicht, auch am Abend in der Sushi-Bar gibt es mit dem Analogstick beim Ausschenken von Tee oder dem Servieren der Gerichte keine Probleme. Während ein griesgrämiger Samurai-Koch nonstop das Sushi zerhackmeistert, flitzt man von rechts nach links und zurück, um die Gäste zu bedienen. Morgens springt man wieder ins Wasser und beißt gerne in all die Köder, die dieses heitere Spiel sehr geschickt auslegt. Man findet Rohstoffe und Blaupausen für neue Waffen, entdeckt mehr Fische und Pflanzen für Rezepte, die wie in einem Trading Card Game gesammelt werden und kann bald sogar Personal einstellen.


Allerdings entsteht hier nicht ganz diese Sogwirkung samt dem entspannten Gruseln wie in Dredge. Hier ist die Comedy letztlich stärker als das Unbehagen, der Wettbewerb etwas dominanter als das Erkunden, die Minispiele nicht ganz so vielfältig. Zumal man als Dave auf allzu gegenwärtige Art genervt wird, wenn auf dem interaktiven Smartphone mal wieder jemand anruft oder eine neue App installiert werden soll. Aber unterm Strich ist Dave the Diver ein richtig gutes Spiel, das von seiner überraschend kreativen Regie lebt und knapp 20 Stunden kurzweilige Unterhaltung serviert.

9 Comments


Xris
Xris
May 17

Habe mir jetzt mal Dave the Diver gegönnt. Nachdem mir Dredge schon so gut gefallen hat.

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Andy
Andy
May 04

Was habe ich Virtua Tennis damals auf der Dreamcast geliebt und stundenlang gespielt. Seither konnte mich nie mehr ein Tennis Game so in den Bann ziehen wie VT. Tja und TopSpin 2K25 wird das ebenfalls auf keinen Fall tun. Nur schon der Trailer sieht aus, wie ein schlechtes PS3-Spiel, was bitteschön ist denn das? Nö, da halte ich lieber die Finger davon.

Viel mehr interessieren mich die Tauch- und Sushi-Abenteuer von Dave the Diver. Habe das Spiel schon mal kurz auf der Switch angespielt, dann aber aufgehört, als ich erfahren habe, dass es noch für die PS5 kommt. Dort werde ich es nochmal starten und darauf freue ich mich schon sehr.

Wenns mal im Günstigangebot ist, werde ich bestimmt auch…

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Ondi
Ondi
May 02

Schade wg. TopSpin 2K25. Ich spiele Tennis (auf dem realen Platz), verfolge ATP und WTA Tour und wundere mich seit langem, dass kein gescheites, aktuelles Tennisspiel auf dem Markt ist. Neben Virtua Tennis und TopSpin sind Super Tennis und Jimmy Connors Pro Tennis Tour dann doch ein paar Jahre her. 😉 Deine Online-Match-Erfahrung mit Ben interessiert mich aber trotzdem. Evtl. macht es ja gegen richtige Gegner mehr Laune als gegen die KI...

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Qugart
Qugart
May 02

Ich hab Manor Lords letztes Jahr mal ausprobiert, als es die Demo gab. Ich war damals schon begeistert. Vor allem, weil es extrem realistisch ist und das Mittelalter so zeigt, wie es wirklich war.

Laut Entwickler soll es übrigens kein Total War Klon sein. Das mit dem Kämpfen kommt eher daher, weil es zu der Zeit eben normal war, dass die Menschen die Pflicht hatten als "zivile Soldaten" zu fungieren. Ich hab aber auch schon gehört, dass das Kampfsystem überraschend gut geworden ist.


Überrascht bin ich tatsächlich, dass bei Learn Chess with Dr. Wolf keine Eröffnungen mit dabei sind. Eigentlich ist chess.com ja DIE Anlaufstelle schlechthin. Kann mir aber svhon gut vorstellen, dass man sich damit doch verbessern kann. Schach…

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Danke, schau ich mir mal an.

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