Bei meiner Recherche zu Berserk wurde ich mal wieder vom Kurs abgebracht - und landete plötzlich bei der Armbrust. Vielleicht lässt sich das damit entschuldigen, dass dieser Manga von Kentaro Miura (1966 -2021) ein faszinierendes Ungeheuer an Bildern, Motiven und Themen ist. Anhand seiner üppigen Fantasywelt kann man viele Verbindungen zwischen Literatur, Geschichte, Kunst und Spiel aufzeigen.
Jedenfalls trägt Guts, der Held von Berserk, eine stählerne Prothese, an die eine sehr spezielle Waffe angedockt ist: eine Repetierarmburst. Über ihrem Bogen samt Auslösegriff erkennt man einen auffälligen Kasten, in dem sich mehrere Bolzen befinden, die er schnell hintereinander abfeuern kann. Diese ungewöhnlich anmutende Hightech-Konstruktion hat es tatsächlich gegeben - und zwar sehr früh, vor über 2500 Jahren.
Direkt aus dem Lateinischen übersetzt bedeutet Armbrust ja "Bogenschleuder" - und dieses Prinzip kannten schon die Griechen; es gibt sogar eine antike Konstruktionszeichnung von Heron von Alexandria aus dem 3.Jh.v.Chr.
Aber die Repetierarmbrust ist eine chinesische Erfindung aus der Zeit der Streitenden Reiche (475 - 221 v.Chr.): Ein Fund aus einem Grab des Königreichs Chu datiert eine Waffe mit "Pistolengriff" ins 4.Jh.v.Chr.
Irrtümlicher Weise wurde ihre Erfindung oft dem viel später lebenden Strategen Zhuge Liang (181-234 n.Chr.) zugeschrieben, weshalb man sie auch als "Zhugenu" kennt.
Unter diesem Namen taucht sie dann auch in der Spielewelt auf, u.a. 1999 bei den Chinesen in Age of Empires II sowie im aktuellen vierten Teil.
Im Gegensatz zur Darstellung im Manga Berserk, wo ihre schweren Bolzen durch Panzerplatten schlagen, wird sie in der Echtzeit-Strategie authentischer dargestellt - dort kann sie nur leicht gerüsteten Feinden Schaden zufügen, aber gegen Ritter muss man normale Armbrüste einsetzen.
Das entspricht auch ihrem tatsächlichen Einsatz, denn in dem Kasten befanden sich eher leichte Pfeile statt Bolzen, die man meist vergiftete, da sie keine besondere Durchschlagskraft hatten. Was wie eine teure Spezialanfertigung für besondere Krieger anmutet, wurde in China an Bauern verteilt, damit sie ihre Dörfer selbst schützen konnten. Man rüstete auch einfache Krieger auf der Großen Mauer damit aus und die Zhugenu galt lange Zeit als Waffe der Frau. Sie war leichter herzustellen und zu handhaben als ein Bogen - vor allem in der Defenisve.
Vielleicht tauche ich nochmal tiefer in Taktik und Militärgeschichte, aber um den Bogen für diese Erkundung zu schließen, sei Dark Souls als weiteres Spiel mit Repetierarmbrüsten erwähnt. Im zweiten Teil ist der "Sanctum Repeating Crossbow" mit seinem oben aufgesetzten Kasten quasi eine direkte Hommage an die Waffe von Guts - in Elden Ring ist die drei Bolzen feuernde Pulley-Repetierarmbrust etwas anders designt, mit dem Kasten unter stählernen Wurfarmen.
Wie komme ich jetzt von Berserk, China und From Software nach Genua? Eine interessante Verbindung findet sich in der Armbrust Avelyn, die mit ihren drei Bögen eher wie ein Musikinstrument aussieht und rein fiktiv designt ist. Sie kommt in allen Teilen vor, aber in Dark Souls 2 heißt es in der Erläuterung, dass ein gewisser Händler aus Volgen namens "Fiorenza" diese Waffe nach einem alten Manuskript anfertigen ließ. Wie klingt Fiorenza? Italienisch!
Es mag Zufall sein, aber als Blütezeit der Armbrust gilt das Mittelalter und die berühmten genuesischen Armbrustschützen führten sowohl Konstruktion als auch Gebrauch zur Perfektion. Spätestens seit dem ersten Kreuzzug (1096-1099 n.Chr.) wurden die Söldner aus Norditalien von Königen als Fernkämpfer engagiert.
Zwar widersprach die Armbrust als hinterhältige Waffe dem ritterlichen Ideal, der Papst verbot ihren „todbringenden und Gott verhassten" Einsatz sogar 1139 - allerdings nicht gegen Heiden.
Jedenfalls boomte die Armbrust auch im Kampf zwischen Christen, selbst Wilhelm der Eroberer setzte sie 1066 bei der Eroberung Englands ein, was der Teppich von Bayeux vielleicht sogar aus Imagegründen verschwieg. Sie war bei Banditen, Meuchelmördern, Priestern und Königen gleichermaßen beliebt. Und in der Schlacht perfektionierten die Italiener ihren Einsatz im Trio: Einer stützte den übergroßen Schild (Parvese), einer lud nach, einer schoss. Wenn das Verbände im disziplinierten Kollektiv machten, war sogar ein Ritterheer im Bolzenhagel chancenlos.
Zwar erlebten die genuesischen Söldner unter (miserabler) französischer Führung gegen die englischen Langbogenschützen ein komplettes Fiasko in der Schlacht bei Crécy (1346), aber sie entwickelte sich in dieser Zeit zur defensiven Standardwaffe bei Belagerungen, die man auch ohne Kampfausbildung schnell einsetzen konnte - also aus ähnlichen Gründen wie anno dazumal in China. In der Renaissance wurde die Armbrust dann zur bevorzugten Jagdwaffe des Adels, aber sie trug auch wesentlich zum Selbstbewusstsein der städtischen Bürger bei, die sich in Gilden trafen und ihren Gebrauch übten.
Spätestens in der Neuzeit konnte sich die Armbrust von ihrem schlechten Image erholen: Nicht zuletzt Friedrich Schiller machte sie mit seinem Wilhelm Tell (1804) wieder populär - obwohl der berühmte Apfelschluss von einem Wikinger namens Toko geklaut ist. Aber diese Entlehnung aus der Gesta Danorum (um 1200) konnte weder den Erfolg des Dramas noch das Comeback der Armbrust gefährden: Sie wird zu einem Symbol des Freiheitskampfes gegen die Tyrannei des Königtums, zur Waffe des rebellischen Individuums und ist plötzlich wieder cool.
Und interessanter Weise trifft all das auch auf den Helden eines der einflussreichsten Mangas der Neuzeit zu: auf Guts aus Berserk. Dort finden sich noch mehr interessante kulturelle Bezüge, die ich in dieser Vertiefung recherchiert habe.
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Es würde mich freuen, wenn ihr auch an Bord kommt!
Sehr interessant, vielen Dank für die Erkundung.
Ich meine in Stolberg im Ost-Harz gibt es auch einen Armbrust Schützenverein wie Anno Dazumal. Dort gibt es auch eine Kneipe mit einem Armbrustsammler, mit dem ich mich mal darüber unterhalten habe. In der Kneipe kann man Teile seiner Sammlung auch anschauen.
Allerdings ist das schon 10 Jahr her, dass ich da war. Könnte es schon nicht mehr geben.
Ich glaube nicht an einen Zufall. Miyazaki ist unglaublich akribisch und genauso detailversessen wie Miura, oder Oda.
Was genau recherchierst du zu Berserk?
War mal wieder eine Freude deine geschichtlichen Ausführungen zu lesen.
Dass die Mechanik schon so alt ist, hätte ich nicht gedacht. Faszinierend.
Interessant, aber nach einigem Überlegen, auch völlig logisch, ist dass Armbrüste bis weit nach dem Mittelalter, also auch bis ins 17. Jahrhundert hinein gerne von nicht ganz so gesetzestreuen Menschen verwendet wurden. Und das, obwohl Gewehre in Europa schon mitte des 13. Jahrhunderts Einzug hielten. Ich kenn die Nutzung vor allem aus den Englisch-Schottischen Grenzkriegen. Dabei wurden die sog. Border Reivers auch gerne als Söldner verdingt. Auf englischer und schottischer Seite.
Bei dem Comic-Bild muss ich auch an ein Buffy-Comic-Cover denken, wo sie mit zwei "Pistolen-Armbrüste" auf Jagd geht.
Woher kommt eigentlich das deutsch Wort Arm-Brust? Weil, wenn der Arm über die Brust gelegt wird, ein Kreuz entsteht? Der englische Begriff Crossbow erklärt sich da ja von selbst.
Lange Erkundung mit vielen Wendungen. Vielen Dank!