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AutorenbildJörg Luibl

Die Magie tierischer Gefährten

Gestern hab ich tatsächlich eine kleine Träne verdrückt, in einer Szene mit Charlie und Radar. Oh, sorry: Charlie ist ein 17-jähriger Abenteurer, Radar ist seine Schäferhündin und sie spielt eine grandiose Nebenrolle in Fairy Tale, dem aktuellen Roman von Stephen King. Den kann ich Freunden der Fantastik sowie modernen Märchen nur wärmstens empfehlen; selbst der Dunkle Turm kommt vor und in einer Situation musste ich tatsächlich an Margit The Fell Omen denken, auch wenn in der Geschichte lediglich ein Elden ohne Ring auftaucht.


Aber zurück zum Hund: Als ich mich derart mit Charlie freute, habe ich mich gefragt, warum Spiele nicht viel häufiger auf diese Bindung zwischen Mensch und tierischem Begleiter zurückgreifen? Warum das Kooperative in digitalen Abenteuern meist mechanisch, aber selten emotional erlebt und erzählerisch tiefer dargestellt wird? Dabei ist es doch so offensichtlich, dass Tiere dabei helfen können, in eine Geschichte oder Welt abzutauchen.


Natürlich gab es Hunde schon immer als Kampfkumpanen und Helfer. Der Roboterhund Rush aus Mega Man 3 (1990) auf dem NES oder der weiße Ninjahund in Shadow Dancer: The Secret of Shinobi (1990) auf Sega Genesis - übrigens ein richtig guter Kampflattformer - gehören zu den frühen Beispielen. Im Westen erlangten Dogmeat aus Fallout (1997) sowie der Bullterrier Whiskey aus Commandos 2 (2001) auf dem PC größere Beliebtheit; Letzterer konnte Feinde ablenken, Gegenstände transportieren und Minen aufspüren.


Tatsächlich gab es aber nur sehr wenige Versuche, mehr aus einem Hund zu machen als eine Schaden verursachende Kampfmarionette. Erst Nintendo sorgte mit Nintendogs (2005) auf dem DS für eine simulative Bereicherung, die in vielerlei Hinsicht nicht nur die Potenziale von Lernverhalten sowie tierischer KI, sondern auch emotionaler Bindung aufzeigte. Aber kaum etwas davon floss danach in konventionelle Abenteuer mit Story, weil ein echter tierischer Charakter aufwändig und komplex ist.


D-Dog aus Metal Gear Solid 5: The Phantom Pain (2015)

Also war der Hund Vigilance aus The Elder Scrolls: Skyrim (2011) nicht mehr als ein hündisch texturierter Söldner, den man bezahlen und leveln konnte. Und auf erzählerischer Ebene war Sam aus The Walking Dead Season Two (2013) leider ebenfalls nur ein kleiner Ansatz, die Interaktion mit emotionaler Anbindung zu verknüpfen, indem man Clementine die Wahl ließ, ob sie ihn füttert oder Gnade zeigt. Aber zwei Jahre später hatten Hunde zumindest in zwei großen Abenteuern endlich wieder bessere Nebenrollen.


Da wäre D-Dog aka Diamond Dog aus Metal Gear Solid 5: The Phantom Pain (2015), der ja streng genommen ein Wolf ist. Alles beginnt sehr vielversprechend mit dem leisen Jaulen eines Welpen, dem ein rechtes Auge fehlt. Venom Snake kann es wie andere Tiere betäuben und per Ballon in seine Basis bringen, wo D-Dog über einige Missionen aufwächst und von Ocelot trainiert wird, so dass er schließlich Befehle wie Sitz versteht. So erlebt man zumindest indirekt seine Kindheit, auch wenn es auf erzählerischer Ebene immer eine gewisse Distanz zwischen Snake und Hund gab.


Man findet das Wolfswelpen früh...

Zwar ist er als Begleiter auf Missionen hilfreich, weil er z.B. Heilpflanzen oder Gefangene aufspürt sowie Gegner wittert. Außerdem steigt der Radius seiner Aufklärung mit der Erhöhung des Beziehungslevels, das mathematisch in Prozenten dargestellt wurde. Man konnte es u.a. mit aktivem Streicheln erhöhen und so einige Aktionen freischalten: Ab 25% konnte er mit seinem Bellen z.B. Feinde ablenken, später weiter ausgerüstet werden und sie angreifen, betäuben oder töten. Ich hab D-Dog sehr gemocht, doch irgendwann verflog die Illusion und wich der Erkenntnis, dass es nur ein weiterer Söldner ist.


...und kann es großziehen.

Hideo Kojima und sein Team haben zwar einiges an Ideen hinzugefügt, aber letztlich war D-Dog nicht mehr als ein cool designter taktischer Kampfhund, eine Art Whiskey 2.0. Es blieb bei einem recht kühlen Verhältnis zwischen Spieler und D-Dog, in dem die spielerische Nützlichkeit, aber nicht die emotionale Beziehung erweitert wurde. Fallout hatte ich ja schon erwähnt, in dem es seit dem ersten Teil immer einen Hund gab (in Vegas war es der kybernetische Vierbeiner Rex), der dann in Fallout 4 (2015) seine bis dato beste Darstellung ablieferte.


Dogmeat aus Fallout 4 (2015).

Dogmeat war jedenfalls auch ein Grund dafür, dass ich die offene Welt gerne erkundet habe. Obwohl Bethesda auf den ersten Blick nicht so viel mehr machte als Konami in Metal Gear, ja sogar weniger: denn es gab weder ein sichtbares Wachsen vom Welpen zum Hund noch eine stärker werdende Beziehung. Dogmeat ist von Beginn an der beste Buddy des Helden, holt Stöckchen bzw. Gegenstände und gibt Hinweise darauf, wo etwas verborgen ist. Er kann wie eine Puppe mit Helm und Halstüchern ausgerüstet werden und reagiert nie abweisend - egal wie gewalttätig oder skrupellos man agiert.


Egal ob Radar in Stephen Kings Fairy Tale oder Dogmeat aus Fallout 4: Tierische Gefährten können für magische Momente sorgen.

Trotzdem gelang es dem apokalyptischen Rollenspiel irgendwie besser, eine Beziehung zu simulieren. Dazu trug vielleicht bei, dass Dogmeat eine eigene Vergangenheit hatte, und zwar mit Nick Valentine, einem meiner liebsten Nichtspielercharaktere der letzten Jahre; neben Blaidd, dem Werwolf. Aber Bethesda hatte darüber hinaus schon einige nette Ideen eingebaut. Das lag nicht so sehr daran, dass Dogmeat über Kopfbewegungen einige Hinweise auf nicht erreichbare Beute gab oder selbständig danach schnüffelte. Aber manchmal schnappte er sich auch etwas, um einfach damit zu spielen - einen Teddy oder einen Hut; das wirkte fast wie ein eigener Antrieb.


Als Videospieler im Jahr 2022 muss man jedenfalls mit Kleinigkeiten zufrieden sein, wenn man in tierischen Begleitern mehr als Kampfgefährten finden will. Immerhin zeigt mittlerweile selbst Kratos in God of War Ragnarök in einer Szene seine Zuneigung für die Schlittenwölfe - das wäre ihm anno 2005 nicht passiert.


Um die erzählerischen Potenziale der Begleiter auszuschöpfen, müsste man sie fokussierter als eigene Wesen mit Charakter designen. Dazu braucht es nicht einmal echte fortgeschrittene KI, sondern Skripte, die das Gefühl eigenen Verhaltens erzeugen. Das muss auch nicht so weit gehen wie im faszinierenden The Last Guardian (2016), dem letzten wirklich innovativen, auch auf emotionaler Ebene der Freundschaft großartigen Schritt in diese Richtung. Aber vielleicht würde es schon helfen, ihnen für ein paar Szenen ein klein wenig von der zauberhaften Illusion eines Trico einzuhauchen: eigenen Willen.


Vielen Dank an alle Steady-Unterstützer, die dieses kleine Spiele-Magazin mit ihrem Abo möglich machen. Es würde mich freuen, wenn ihr auch an Bord kommt!

15 Comments


Old Shatterhand
Old Shatterhand
Dec 01, 2022

Der Fuchs aus "Among Trees" ist auch putzig. Schade dass das Spiel offenbar aufgegeben wurde.

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Olaf
Olaf
Dec 01, 2022

Auf Anhieb fällt mir auch nach drei Tagen kein Spiel ein, wo es gut umgesetzt wurde 🤔


TLoU 2 hat da ebenfalls Potenzial verschenkt. Ev. war ursprünglich mehr geplant als zwei mal Stöckchen holen.

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Cervantes
Cervantes
Nov 29, 2022

Jörg, hat Dir Fairy Tale besser als Billy Summers gefallen (sofern vergleichbar)?


PS: Sehr interessanter Beitrag!

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Jörg Luibl
Jörg Luibl
Nov 29, 2022
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Fairy Tale hat auf jeden Fall mehr Eindruck hinterlassen. Es fühlt sich auch eher so an wie früher, wie ältere Kings, in denen das Fantastische und Unheimliche aufeinander trafen.;)

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Qugart
Qugart
Nov 28, 2022

Ganz schwieriges Thema.

NPC-Tiere betrachte ich fast immer nur als eine Mischung aus Mule und Drohne. Sie sind ja fast immer nix anderes als Quality of Life Produkte innerhalb der Spiele. Und selbst wenn sie blos als schnelleres Fortbewegungsmittel dienen, meide ich sie meistens. Selbst bei Elden Ring bin ich oft lieber zu Fuß als mit Torrent unterwegs. Und das, obwohl das bisher beste Reittier aller Zeiten ist (abgesehen von dem oft ewigen Wendekreis).


Irgendwelche Bindungen konnte ich bisher so rein gar nicht zu den tierischen Begleitern aufbauen. Dafür haben sie einfach zu wenig Story bzw. fehlt es an denkwürdigen Interaktionen. Mit am besten, was die Bindung betrifft, war da noch der Mabari aus Dragon Age: Origins. Obwohl er auch…


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Stef
Stef
Nov 28, 2022

In der Tat. Ich finde, dass es bei Pferden etwas besser gemacht wird. Vielleicht schon bei Plötze (eher auf die nervige Art ;-P), jedoch spätestens bei RDR2 wurde aus dem bloßen Transportmittel ein lebendiges Wesen, um dass ich mich kümmern kann (und sollte), was für mich einen coolen Fokus setzte. Grad zum dramatischen Ende des Spiels wird einem die Macht einer solchen Verbindung aufgezeigt.

Das Potential wurde, gerade im Hinblick auf "des Menschen bester Freund"- zumindest als Begleiter- jedoch noch nicht mal angeschnitten würde ich sagen.

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Jannik
Jannik
Dec 01, 2022
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😁

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