Als ich meine letzte Kolumne "Der Turm stürzt" schrieb und Spielvertiefung langsam Form annahm, wurde ich gefragt, ob das Motiv etwas mit Stephen King zu tun hat. Ich habe in den 20 Jahren als Redakteur ab und zu angedeutet, dass ich diesen Schriftsteller sehr schätze. Und spätestens als ich mit "Ich wünsche lange Spielzeit und angenehme Bosse" meine Podcasts beendete, dürften Freunde des Revolvermannes die Nähe bemerkt haben.
Deshalb möchte ich nächstes Jahr über "Der Dunkle Turm" sprechen - eine faszinierende achtbändige Saga und für mich das Beste, was King je geschrieben hat. Darin findet man u.a. Bezüge zu J.R.R. Tolkien und zu amerikanischen Klassikern, die man vielleicht so nicht von einer Story erwarten würde, die mit "Schwarz" wie ein Western beginnt.
Stephen King schreibt bekanntlich verdammt viel - seine Bücher füllen mehrere Regalmeter. Ich staune und freue mich immer, wenn etwas hinzukommt. In den ersten Jahren seiner Karriere, die 1974 mit "Carrie - Des Satans jüngste Tochter" begann, wurde er von "ernsthaften" Literaturkreisen meist ignoriert oder belächelt, obwohl er schon zahlreiche Awards gewinnen konnte. Und quasi nonstop nachlegte.
Als ich 1992 Abitur machte, las ich mit "tot." gerade den dritten Band der Turm-Saga und fragte meinen Deutschlehrer, ob wir nicht mal was von King besprechen könnten. Sein Gesicht sprach Bände - oder zumindest drei Buchstaben: wtf. Doch der oft in die Horrorschublade verbannte King bewies mehrmals, dass er viele Genre beherrscht. Das Image wandelte sich spätestes in den 2000ern und mit dem "Edgar Allan Poe Award" gewann er 2015 den renommiertesten Preis für Krimiliteratur für Mr. Mercedes.
Billy Summers
In diese Kategorie gehört auch Billy Summers, sein aktueller Roman um einen Kriegsveteranen, der als ehemaliger Scharfschütze für die Mafia arbeitet. Dieser Billy ist ein Killer mit gewissen Prinzipien und schauspielerischem Talent - denn um sich zu schützen, spielt er gegenüber seinen Auftraggebern den "Einfältigen" - obwohl er recht clever ist und Zola liest.
Als er mit seinem letzten, extrem gut bezahlten Job seine Karriere beenden will, schlüpft er zudem in die Rolle eines Schriftstellers, der in einer kleinen Stadt für ein paar Monate nicht auffallen soll, bis der Tag des Mordes naht. Also passt er sich an, lernt Nachbarn kennen und wechselt dabei sogar in eine dritte Rolle. Denn für eine Exit-Strategie hat er eine weitere Person erschaffen, mit der er vor der Mafia fliehen könnte - irgendwas an diesem letzten Coup erscheint ihm seltsam.
Stephen King verwebt nicht nur meisterhaft mehrere Persönlichkeiten in einer Figur, er lässt diesen Killer auch noch einen Roman im Roman schreiben - in dem er als Einfältiger auf seine Kindheit und sein Leben zurückblickt. Dazu gehört auch die prägende Zeit im Irak-Krieg, die er immer noch verarbeitet. Da dieser Text von der Mafia gelesen wird, muss er auch ihn tarnen, darf nicht zu schlau texten. Billy spricht, schreibt, kleidet und verhält sich also je nach Situation über Monate anders.
Schon auf den ersten hundert Seiten gelingt es King meisterhaft ein glaubwürdiges Szenario mit greifbaren Charakteren aufzubauen. Beim ersten Treffen mit den Gangstern sieht man Figuren vor sich, die Scorsese nicht besser darstellen könnte. Eine Leitfrage dabei: Was ist ein schlechter Mensch? Wann ist Mord gerechtfertigt? Wie verarbeitet man das als Killer? Fast dokumentarische Berichte aus dem Irak-Krieg treffen auf die vermeintliche Idylle des Alltags. All das sorgt für einen Spiegel der amerikanischen Gesellschaft, die Stephen King mit sehr viel Gespür für graue Wahrheiten hinter den schwarzweißen Klischees abbildet.
Spätestens als die Story durch einen Zwischenfall um eine junge Frau bereichert wird, die Billy vor ganz andere - und vor allem ungeplante - Herausforderungen stellt, kann man ihn nicht mehr aus der Hand legen. Die dargestellte Beziehung der beiden gehört zu den großen Stärken dieses Romans, denn Jung und Alt sowie zwei unterschiedlich verletzte, tragisch versehrte Persönlichkeiten treffen aufeinander. Wie so oft geht es um Gut und Böse, um Liebe und Hass, um die Geister der Vergangenheit und eine ebenso hoffnungsvolle wie tückische Zukunft.
Ich habe sehr angenehme Stunden in der Welt von Billy Summers verbracht. Mehr kann man von einem guten Buch nicht verlangen.
(Bilder von oben: Schwarz (Der Dunkle Turm, Band 1), Stephen King, Heine; Billy Summers, Stephen King, Heine)
Vorsicht: Beitrag enthält Spoiler zu Billy Summers (und zu Im Westen Nichts Neues...)
Gestern abend mit Billy Summers fertig geworden, quasi rechtzeitig zu Ben's Chorus Rezension. Mein erster durchgelesener Stephen King Roman, hurra!
Gutes Buch. Insbesondere die ersten 100 Seiten sind echt stark. Danach immer noch gut, aber etwas kompakter hätte es auch getan. (Vermutlich traut sich kein Lektor mehr, einem Stephen King reinzureden.)
Der Schluss war wiederum großartig, zumindest für mich. Wobei ich im vorletzten Kapitel tatsächlich ein "banales" Ende befürchtet habe (und sogar präsentiert bekommen habe). Sehr schön. Ich finde den Tod des Hauptdarstellers eigentlich immer ein gutes, würdiges Ende für eine Erzählung.
Und die Sätze "When I woke up the next morning at five, he was dead.…
Ich mag keinen Horror. So.
Mich stört an Horror allgemein und damit auch an Stephen King immer:
das/der Böse ist a) Böse weile es eben einfach BÖSE ist und
b) das/der Böse ist mit irgendwelchen diversen übernatürlichen Kräften ausgestattet die es/ihn (beinahe) unbesiegbar machen.
Beides mag ich nicht, weil es mir wir eine unzulässige Arbeitserleichterung des Autors erscheint: Wenn ein Antagonist "Böse" ist, dann will ich auch wissen warum bzw. warum die Handlungen aus seiner Sicht eigentlich nicht böse sondern nur folgerichtig sind.
Und übernatürliche Kräfte sind nur mangelnde Fantasie des Autors weil er sich nicht überlegen will, wie der Antagonist seine Ziele mit "natürlich" Kräften erreichen kann.
Demzufolge hatte ich bisher nichts von Stephen King gelesen. Diesen Sommer im…
Ich habe vor einiger Zeit "Das Attentat" sehr genossen. Der Roman beschäftigt sich mit der Möglichkeit durch eine Zeitreise das Kennedy Attentat verhindern zu können.
King entwirft hier eine vielschichtige Geschichte mit wie üblich toll geschriebenen Charakteren. Absolut lesenswert und kein bisschen trivial.
Ich habe noch 150-200 Seiten vor mir und finds auch toll. Haut mir aber nicht so sehr das Blech raus wie Mr. Mercedes und viele andere Bücher von King. Außerdem ist Billy Summers gerade sowas wie ein Utensil für den Verzögerungsgenuss. Danach wartet nämlich der neue Abercrombie auf mich, auf den ich mich wahnsinnig freue. Ich würde gern Einschätzungen von kompetenten Lesern dazu hören und ob mir Leute zustimmen, wenn ich die Klingen-Reihe als pragmatische Antikriegsfantasy bezeichne. Außerdem hör ich mir auch gern Beleidigungen in Richtung der deutschen Verleger an, denn die Titelgebung im Deutschen ist das Aller...Allerallerallerletzte! Vor allem weil die Originaltitel oft so grandios gut gewählt sind.
Ich habe alle Teile von DDT gelesen, The Stand, Es und einige andere. Irgendwann hat Stephen King aber angefangen, immer mehr Opfer seiner eigenen Kreativität zu werden - und anscheinend hat er einen Verlag, der ihn zu wenig korrigiert. Er verläuft sich immer wieder in Nebenschauplätzen, Nebengeschichten, Rückblenden, Beschreibungen und verliert die eigentliche Geschichte oft aus den Augen. Bei DDT hat das noch Sinn gemacht, weil sich die Rückblenden und Nebenschauplätze sehr auf die eigentliche Geschichte ausgewirkt haben - aber auch da hat es mich ab Teil 5 und 6 schon oft genervt, weil ich einfach nur wissen wollte, wie die Geschichte weitergeht.