Ich schreibe gerade einen Artikel über Elden Ring und bin nebenbei auf einen möglichen Zusammenhang gestoßen. Vielleicht ist es auch nur eine zufällige Gemeinsamkeit zwischen dem Action-Rollenspiel von FromSoftware und den Fantasy-Abenteuern von Fumito Ueda.
Wie die meisten wissen dürften, war das Action-Adventure Ico (2001) der entscheidende Impuls für Hidetaka Miyazaki, selbst Spiele zu entwickeln. Und er nannte Shadow of the Colossus (2005) neben anderen als kreative Inspiration für Elden Ring. Einige Szenen aus den Zwischenlanden wirkten damals auf mich wie eine künstlerische Hommage an die Kolosse: Wenn sich etwa ein Riese aus der Stille heraus auf einer Hochebene langsam aufbaute, sich zunächst tückisch langsam bewegte und ich auf Torrent galoppierend zurückwich, als er plötzlich brüllte und weit ausholte. All das erinnerte mich in der Inszenierung an die grandiosen Momente im Sattel von Agro.
Beide Spieldesigner haben ja eine Vorliebe für rätselhafte Fantasy und fragmentiertes Storytelling, wobei Fumito Ueda noch reduzierter erzählt und aufgrund der vielen Lücken die Neugier auf Hintergründe weckt. In was für einer Welt spielen Ico, Shadow of the Colossus und The Last Guardian (2016)? Hängen sie irgendwie zusammen? Demnächst spreche ich übrigens mit Martin Seng im Podcast über die engagierte Community, die bis heute vor allem den Geheimnissen der Kolosse nachspürt.
Und es gibt einige Verbindungen zwischen den drei Abenteuern, die über das rein Stilistische und Atmosphärische hinausgehen. Eine Gemeinsamkeit sind die Hörner als Kennzeichen ausgestoßener Menschen, die als verflucht gelten. Es wurde spekuliert, ob nicht der gehörnte Junge Ico, den man in eine Festung sperrte, aus der er das Mädchen Yorda befreite, nicht sogar am Ende von Shadow of the Colossus geboren wurde. Dort findet Mono schließlich ein Kind mit kleinen Hörnern.
In The Last Guardian trägt zwar nur das Wesen Trico Hörner, aber die wurden ihm gewaltsam abgeschlagen und er wurde in einer alten Festung angekettet. Auch hier geht es also um eine verfluchte Kreatur, die gejagt wird. Und das ist die erwähnte Verbindung zu Elden Ring, denn dort werden Gehörnte auf ähnliche Art in einfachen sowie relevanten Rollen dargestellt, so dass das eine Art von erzählerischer Hommage sein könnte.
Gottkönigin Marika und Godfrey zeugen nicht nur Godwyn den Goldenen, der wie ein strahlender Siegfried zum legendären Drachentöter und Liebling seiner Mutter wird, sondern auch die Zwillinge Mohg und Morgott. Beide zeigen bei ihrer Geburt einen Makel, denn sie tragen Hörner und gelten damit als verflucht.
Doch im Gegensatz zu normalen Leuten, denen man laut Story meist die Hörner abschneidet, so dass sie entweder direkt an den Folgen oder später als gejagte Monster sterben, werden Adlige ausgestoßen und leben im Verborgenen weiter. Die beiden königlichen Halbgötter Mohg und Morgott hausten z.B. als Gefangene in den unterirdischen Katakomben von Leyndell - ähnlich angekettet wie Trico -, bevor der Krieg um den Ring sie befreite.
Im englischen Elden Ring werden sie Omen, in der deutschen Version Male genannt und sie begegnen einem meist als mutierte Monster, hässlich wie Oger und mit riesigen Waffen bestückt. Das sind natürlich große Unterschiede zu dem Jungen in Ico, aber es scheint ähnliche Ängste, Flüche und Gesetze zu geben. Und auch in Elden Ring ist der tragische menschliche Kern dieser Ausgestoßenen noch zu erkennen.
Denn man begegnet manchmal schlafenden Omen, die sich in ihren Alpträumen winden. Und ihre Jäger, die so genannten Omen-Killer, von denen man Rollo auch als Geist beschwören kann, tragen einen fratzenhaft skulpturierten Helm, der (ähnlich wie die japanischen Oni-Masken) darauf anspielt:
"Es trägt das grinsende Gesicht eines Ältesten, das in böser Freude verzerrt ist. Diese Visage ist in das Bild der bösen Geister geschnitzt, die die Omen in ihren Albträumen heimsuchen."
Man darf nicht vergessen, dass die Zwischenlande zu Beginn von Elden Ring einige Epochen hinter sich haben und seit sehr langer Zeit in einer Spirale der Unsterblichkeit, des Krieges und der Grausamkeit dahin siechen. Man könnte sich durchaus vorstellen, dass Gehörnte in der Ära der Goldenen Ordnung (oder davor) menschlicher aussahen - und dass man sie wie in Ico in Festungen verbannte.
Trotzdem spielen die beiden Zwillinge hier eine alles andere als unschuldig heroische Rolle. Morgott bzw. Margit the Fell Omen, dem man zweimal als Boss begegnet, treibt vielleicht noch die Suche nach Anerkennung an, als er wie so viele andere dem Wahnsinn verfällt und sich als letzten König und Verteidiger der Goldenen Ordnung in der Hauptstadt Leyndell verschanzt - überall Verräter witternd.
In ihm kann man noch einen letzten Rest des Königssohns erkennen, wohingegen in seinem Bruder Mohg vor lauter verschlungenen Hörnern keinerlei Spuren des Menschlichen mehr sichtbar sind. Er hat sich einer dunklen äußeren Göttin und ihrer Magie des Blutes verschrieben, wirkt fast wie eine Lovecraft'sche Kreatur à la Cthulhu, will eine eigene Dynastie gründen und entführt aus diesem Grund seinen Halbbruder, den königlichen Sohn von Marika und ihrem (zweiten) Mann Radagon: Miquella.
Nur kann Mogh das notwendige Ritual für seine dämonische Machtergreifung nicht durchführen. Denn der blonde Bruder von Malenia, der den Fluch andauernder körperlicher Kindheit in sich trägt und diesem für seine ebenfalls, allerdings mit Scharlachfäule verfluchte Schwester zu entkommen suchte, schläft wie ein Toter in einem Kokon. Und niemand kann ihn aus seinen Träumen reißen. Ob FromSoftware ihn in Shadow of the Erdtree wachküsst? Laut Malenia dürfte das einiges ändern:
"Mein Bruder wird sein Versprechen halten. Er besitzt die Weisheit, die Anziehungskraft eines Gottes - er ist der furchterregendste Empyrean von allen."
Wie auch immer: Ich habe schon früh während des Spielens von Elden Ring eine entfernte Nähe zwischen den beiden Fantasywelten wahrgenommen, die weniger auf meiner vermuteten Hommage rund um Hörner oder die vergleichbaren Themen von Tod und Wiedergeburt, als vielmehr einer grundsätzlichen ästhetischen Gemeinsamkeit beruht. Es gibt natürlich sehr viele faktische Unterschiede zwischen einem Ico und einem Demon's Souls, einem Shadow of the Colossus und einem Elden Ring.
Und dennoch: Sie fühlen sich manchmal an wie digitale Seelenverwandte. Es würde mich jedenfalls nicht wundern, wenn man irgendwo an den Grenzen der Zwischenlande auf Torrent über genau jenen Pass und durch jenen Wald reiten könnte, der Wander vor fast 20 Jahren in das verbotene Tal der Kolosse führte:
Meine Güte, was vermisse ich Abenteuer dieser außergewöhnlichen Art...
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Solche (möglichen) Zusammenhänge sind immer interessant zu lesen. Ob der eine jetzt den anderen inspirierte, oder sich inspirieren ließe (um es nicht klauen zu nennen) oder beide eben nur unabhängig voneinenader die gleichen Ideen hatten (sieht man in der Weltgeschichte in unterschiedlichen Kulturen und Epochen immer mal wieder), wird man wohl nicht erfahren. Solange das Resultat keinen benachteiligt und die Unterhaltung stimmt, kann ich auch damit leben. 😀
Von Ico zu Elden Ring. Warum nicht. Sehr spannend!
Ich habe meine Reise in die Zwischenlande erste heuer begonnen und komm leider zur Zeit wenig zum Zocken. Aber meine Güte: wenn ich deine Gedanken und Umschreibungen lese, kriege ich instant wieder sowas von Bock darauf!! :-D
Das Ei soll ruhig schlüpfen.
Am besten in knapp zwei Wochen.
Oder es ist vieles einfach nur Fantasy Artwork, weil's cool aussieht? ;)