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AutorenbildJörg Luibl

Empfehlung: Der letzte König von Osten Ard (Tad Williams)

Tad Williams hat es tatsächlich geschafft: Gerade eben hat er seine 1988 (sic!) begonnene und seit 2017 fortgeführte Fantasy-Saga in der Welt von Osten Ard mit The Navigator's Children abgeschlossen. Dieser vierte und letzte Band der Saga The Last King of Osten Ard ist am 12. November 2024 auf Englisch erschienen und krönt eine bemerkenswerte Leistung.


Das freut mich für diesen außergewöhnlichen Schriftsteller, der mit Traumjäger und Goldpfote (1985) einen der besten Katzenromane in der Tradition der Tier-Fantasy schrieb und die Science-Fiction mit Otherland (1996 - 2001) in neue virtuelle Realitäten samt Online-Rollenspielflair beamte.


Aber mich freut diese Vollendung auch für das gesamte Genre der epischen Fantasy. Denn der sagt man aktuell nach, dass sie es in dieser ausführlichen und über viele Jahre gereiften Art sowohl bei Verlagen als auch jüngeren Lesern immer schwerer hat. Immer mehr Leute mögen es wohl kürzer, knapper, sexier und so genannte "Romantasy" flutet die Regale der Buchhandlungen.


Ob auch die Konzeption von Dragon Age: The Veilguard, das mich komplett ernüchterte, ein Spiegel dieses anscheinend veränderten Interesses ist? Mehr dazu kann man in dieser dreiteiligen Aufsatzreihe Was ist mit der epischen Fantasy los? von Markus Mäurer bei Tor Online lesen. Vielleicht muss ich da auch mal bei Christian Endres nachfragen - wir wollten nach der Science Fantasy, Space Opera & Co ohnehin irgendwann über die Geschichte und den Status quo der High-Fantasy sprechen.


Wie auch immer: Ich bin froh, dass es noch so viel an Auswahl und Lesestoff gibt, der jetzt um diese Pflichtlektüre bereichert wurde. Keine Bange, ich werde in dieser kleinen Empfehlung natürlich nichts über die Story oder gar das Finale von Der letzte König von Osten Ard verraten, zumal es bisher noch keine deutsche Übersetzung gibt.


Außerdem befinde ich mich ja selbst mittendrin in diesem Epos rund um den gealterten König Simon, den man mal Schneelocke nannte. Er faszinierte mich schon als junger Abenteurer 1988 auf seiner Odyssee vom Küchenjungen zum Helden und kehrte seit 2017 als König und Großvater in dieser zweiten Saga zurück.


Warum ich diese epische Fantasy von allen direkt an Der Herr der Ringe angelehnten Reihen für die rein sprachlich eindrucksvollste halte, habe ich in der Schatzkiste über Der Drachenbeinthron erläutert. Das war der erste von vier Bänden der ursprünglichen Saga, die bei uns Das Geheimnis der Großen Schwerter, im englischen Original Memory, Sorrow and Thorn heißt. Darin schrieb ich u.a.:


Man braucht ein wenig Geduld, denn Tad Williams erzählt in aller Ruhe, quasi Pfeife rauchend, mit einem bemerkenswerten Blick für Kleinigkeiten und Charaktere. Seine Sprache ist geprägt von einem epischen, aber nichtsdestotrotz modernen Stil. Dabei orientiert er sich zwar wie so viele am Oxforder Professor, was den Aufbau der Welt sowie die Darstellung der Völker angeht.


Aber keinem anderen Autoren ist es nach Tolkien gelungen, fremde Kulturen und Sprachen wie jene der Sithi (Elben) so glaubwürdig, entweder mit einem vertrauten keltischen sowie germanischen oder exotisch japanischen Widerhall zu integrieren. Nur deshalb kann die Welt von Osten Ard eine ähnliche kulturhistorische Dichte sowie kontinentale Weite entwickeln wie Mittelerde.


Als Leser folgt man dem jungen Simon vom verträumten Herumstromern in der Burg in alle Himmelsrichtungen und lernt Rimmersmänner, Hernystiri, Sithi, Wranna etc. kennen, während man sich in Wäldern verläuft, fast verhungert, Freunde findet, irgendwann tatsächlich ein Schwert führt und es als überaus unwahrscheinlicher Held zusammen mit seinen Gefährten gegen finstere Mächte führen muss.


Ich empfehle natürlich wärmstens diese erste Saga zuerst zu lesen! Ja, sie braucht etwas Zeit, bis sie an Dramatik gewinnt, aber sie ist genau das Richtige für kalte Wintertage und wird euch einige bemerkenswerte Charaktere wie Pryrates, Isgrimnur & Co schenken, die man nicht so schnell vergisst.


Aber Tad Williams fasst die dortigen Ereignisse sehr gut im Rückblick zu Beginn der zweiten Saga zusammen. Wer also direkt mit Der letzte König von Osten Ard von Klett-Cotta loslegen will, wird rein faktisch gut vorbereitet.


Und dann kann man in eine vertraute Welt abtauchen, die sich nach 30 Jahren kaum verändert hat und mit einer Szene im Wald beginnt:


Ross und Reiterin glitten bergab durch das Kynswaldgehölz, das aus Lärchen, glanzblättrigen Buchen und mit Kätzchen behangenen Eichen bestand. Lautlos erschienen sie in einem Sonnenlichtkegel, dann im nächsten. Sie bewegten sich in einem Tempo fort, das jeden Sterblichen erschreckt hätte. Doch der helle Mantel der Reiterin schien sämtliche Farben der Umgebung zu reflektieren, sodass ein unkonzentrierter Betrachter nur eine kurze Bewegung wahrgenommen, nur an einen Windhauch gedacht hätte. Die milde Luft gefiel Tanahaya...


Diese Fortsetzung lese ich mit den üblichen Unterbrechungen seit 2017 in der deutschen Übersetzung. Das obige Zitat stammt aus dem ersten Band Die Hexenholzkrone, der hierzulande in zwei Teilen erschienen ist, ebenso wie Das Reich der Grasländer sowie Im dunklen Tal, so dass man auf bisher sechs Bände kommt - nur das oben erwähnte Finale fehlt noch auf Deutsch.


Warum ist diese zweite Saga also eine Empfehlung wert? Simon regiert sein Königreich mittlerweile zusammen mit Miriamel. Die Grafen des Erkynlandes nerven manchmal mit ihren Anliegen, sein Enkel Prinz Morgan säuft lieber mit Kumpels als sich auf sein Erbe vorzubereiten, aber alles scheint rund um den Hochhorst, die königliche Festung, überaus friedlich.


Doch der idyllische Schein trügt und eine alte Macht regt sich im hohen Norden: die Königin der Nornen. Sie ist das Oberhaupt der so genannten Hikeda'ya, die von ihnen Utuk'ku seyt Hamakha genannt wird und angeblich das älteste Lebewesen der gesamten Welt ist. An diesen Namen erkennt man vielleicht die oben erwähnten japanischen Einflüsse, die Tad Williams nicht nur für ihre Sprache, sondern auch ihren strengen Verhaltenskodex sowie die Sozialstruktur nutzte.


Er kommt in dieser zweiten Saga jedenfalls wesentlich schneller zur dramatischen Sache, zumal es nicht nur um eine äußere Bedrohung durch die Nornen geht, sondern auch um eine innere: Das Königreich muss plötzlich auf mehrere seltsame Vorfälle in der Burg selbst als auch bei seinen Verbündeten reagieren, so dass es bald an mehreren Fronten brennt - nicht sofort kriegerisch, sondern eher über mörderische Intrigen und Verschwörungen.


Abseits dieser Entwicklungen zieht mich auch der elegante Schreibstil samt all der Déjà-vus durch bekannte Formulierungen, Ausdrücke und Charaktere mal wieder magisch an. Man trifft erneut auf die Quanuc genannten Trolle Binabik und Sisqi, die ebenfalls auf köstliche Art mit ihrer Tochter sowie dem Schwiegersohn in spe Klein-Snenneq (was ein Name!) umgehen. Der Gelehrte Tiamak recherchiert in alten Büchern und der Hernystiri Graf Eolair hat es erst mit einer alten Legende und dann mit ganz neuen Problemen an den Grenzen zu tun.


Tad Williams geht in dieser zweiten Saga nicht nur näher auf die Tinukeda'ya ein, darunter die Kinder des Meeres, er entführt auch in die Reiterclans der Thritinge, in die Intrigen von Nabban, in die Tiefen und sozialen Strukturen der Nornen mit ihren Opfermutigen und Sängern, so dass man ähnlich wie damals mit Drizzt ein faszinierendes Reich kennenlernt, das aber nur entfernte Gemeinsamkeiten mit dem Menzoberranzan der Dunkelfen von R.A. Salvatore hat.


Zu den sprachlichen Highlights gehören die szenischen Darstellungen, die vor Details und Bildhaftigkeit nur so strotzen. Darunter eine über mehrere Bände reichende Expedition aus Nornen sowie einem menschlichen Jäger, die einen Drachen in den verschneiten Gipfeln des hohen Nordens lebendig fangen soll. Dabei wird sie von einem Riesen namens Goh Gam Gar begleitet, der nicht freiwillig dabei ist, sondern von einem magischen Stab gefangen, gequält und zur Arbeit gezwungen wird. Seine Wut und Verzweiflung wird ebenso markant beschrieben wie die Jagd auf und die anschließende Präsenz des Drachen. Das ist inklusive der Konflikte innerhalb der Gruppe ganz große Fantasy!


Ich könnte endlos Beispiele nennen, aber belasse es dabei. Moment, einer geht noch: das Glossar ist wunderbar! Auf über 30 Seiten fasst Tad Williams alles schön sortiert zusammen, von Namen über Feiertage und Sternbilder bis hin zu Völkern und Redewendungen. Ich würde fast sagen, dass sich alleine dafür der Kauf eines Romans lohnt. Denn wenn man darin schmökert, fühlt man sich sofort an Hintergrundbücher eines Pen&Paper-Rollenspiels erinnert und sieht schon seine eigene Kampagne vor sich.


Hier nochmal als Übersicht die (hoffentlich) korrekte chronologische Reihenfolge aller Bücher von Tad Williams über Osten Ard samt der kursiv dargestellten Zusatzromane:


Brüder des Windes (2021)


Erzählt die Vorgeschichte 1000 Jahre vor "Der Drachenbeinhtron"; muss man nicht kennen, ist was für Fans und Sammler.


Band 1: Der Drachenbeinthron (1988)


Der Beginn der ersten Saga "Das Geheimnis der großen Schwerter", der in meiner Schatzkiste neben Elric u.a. als Meisterwerk der Fantasy stellvertretend für die erste Saga steht.


Band 2: Der Abschiedsstein (1990)

Band 3: Die Nornenkönigin (1993)

Band 4: Der Engelsturm (1993)


Der brennende Mann (1998)


Erzählt eine Kurzgeschichte, in der sich ein Lord in eine einfache Frau verliebt; muss man nicht kennen.


Das Herz der verlorenen Dinge (2017)


Schließt die Lücke der 30 Jahre zwischen dem letzten Band der ersten Saga, Der Engelsturm (1993), und dem ersten Band der zweiten Saga, Die Hexenholzkrone (2017). Ist als Vorgeschichte eine optionale Vorbereitung, aber es gibt auch eine kurze Zusammenfassung zu Beginn der zweiten Saga.


Band 5: Die Hexenholzkrone 1 (2017)


Der Beginn der zweiten Saga, die "Der letzte König von Osten Ard" genannt wird und kürzlich abgeschlossen wurde.


Band 6: Die Hexenholzkrone 2 (2017)

Band 7: Das Reich der Grasländer 1 (2018)

Band 8: Das Reich der Grasländer 2 (2018)

Band 9: Im dunklen Tal 1 (2022)

Band 10: Im dunklen Tal 2 (2022)


Band 11: The Navigator’s Children (2024, deutsche Übersetzung tba)


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3 comentarios


bushd0c
bushd0c
18 nov

Habe die Reihe Der letzte König von Osten Ard aus Faulheitsgründen auf deutsch als Hörbuch gehört. War nach einigen Jahren des Scifi-only-Lesens meine Rückkehr zur klassischen Fantasy. Es macht wieder richtig Spaß. Die ursprüngliche Serie hatte ich zu Schulzeiten gelesen. Und ich konnte mich nicht mehr so recht an alles erinnern. Aber der Stil ist ähnlich und die Welt und die Geschehnisse sind spannend. Für Fans von Fantasy und Tad Williams sehr zu empfehlen. Freue mich auf den Anschlussband auf deutsch.

Editado
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Qugart
Qugart
14 nov

Das Geheimnis der Großen Schwerter hab ich schon länger auf meinem Audible-Merkzettel.

Mich schrecken nur immer die insgesamt 135 Stunden Laufzeit ab. Aber irgendwann wird das was.

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Audhumbla
Audhumbla
15 nov
Contestando a

Aber großartig gelesen von Andreas Fröhlich!

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