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Game Studies: Amerikanischer Ausnahmestatus in Death Stranding

Autorenbild: Jörg LuiblJörg Luibl

Was denken Soziologen, Philosophen und Kulturwissenschaftler über Spiele? Über was wird in den Game Studies diskutiert? Ich habe diese Reihe mit Auf Abwegen - Folk horror, Videospiel und das Problem der Natur von Daniel Illger begonnen. Es gibt dazu unter Berichte eine eigene Kategorie, in der alle Erkundungen und Podcasts über Game Studies einsortiert werden.


Diesmal geht es um einen Aufsatz von Anja Kurasov, die 2022 ihre Bachelorarbeit an der Uni Regensburg zum Thema "American Exceptionalism in Death Stranding:

Videogames and Culture" geschrieben hat. Darin geht die Medienwissenschaftlerin und Amerikanistin ausführlich auf das 2019 veröffentlichte Videospiel von Hideo Kojima ein. Nicht nur weil ich aktuell an einer Vertiefung zu dem Spiel arbeite, habe ich diese Studie sehr gerne gelesen.

Freiheitsstatue, New York, Wikipedia, gemeinfrei.
Freiheitsstatue, New York, Wikipedia, gemeinfrei.

Es geht ihr darum, inwiefern Death Stranding "die Geschichte der amerikanischen Außergewöhnlichkeit mit der Absicht dekonstruiert, grundlegende Probleme in der amerikanischen Gesellschaft offenzulegen, Probleme, die alle aus denselben Narrativen stammen, die die nationale Identität der Staaten so tief prägen."


Was heißt "Amerikanischer Exzeptionalismus"? Ganz verkürzt ist es die nationalistische Vorstellung der eigenen Außergewöhnlichkeit gegenüber anderen Staaten. Die wurde in diesem Fall nicht nur politisch, sondern mit den ersten Kolonisten auch religiös mit einem "von Gott" auserwählten Volk legitimiert. Hinzu kam die Überzeugung, dass man anderen Nationen ein positives Beispiel sein kann.


Nach einer Beschreibung der zersplittert apokalyptischen Ausgangslage von Death Stranding erläutert Anja Kurasow, wie der Spieler in der Rolle von Sam Porter Bridges, ganz nach dem Motto "Make America Whole Again”, auch in die Fußstapfen all jener frühen Siedler und Entdecker wie Lewis & Clarke tritt, die Amerikas bis dato unberührte Wildnis von Ost nach West erkundeten, um das Land zu kolonisieren:


"Das Spiel stellt diese Melancholie eines zerstörten Amerikas kontinuierlich dar und kontrastiert es mit der unberührten, blühenden Natur, die symbolisiert, dass nicht alle Hoffnung verloren ist. Ein genauerer Blick auf Sam zeigt, dass er ideal für diese Aufgabe geeignet ist, die Nation auf der Grundlage exzessionalistischer Narrative wieder zusammenzuführen."


Allerdings ist der Wilde Westen auch im Videospiel eine romantische Illusion und Sam muss auf dieser Reise einiges opfern:


"Neben dieser Dekonstruktion des mythischen Westens hat Sam langsam seine anfänglich zutiefst individualistische Natur hinter sich gelassen. Das Spiel zeigt, dass extreme Selbstständigkeit, wie sie im amerikanischen Individualismus propagiert wird, die Menschen auf lange Sicht unsozial und isoliert macht."


Death Stranding ist ja vor COVID-19-Pandemie entwickelt worden und am 8. November 2019 erschienen, also knapp einen Monat vor Bekanntwerden des ersten Corona-Falls am 1. Dezember 2019 in China. Manche haben sie dennoch in der Isolation der Menschen in Death Stranding wiedererkennen wollen. Aufgrund dieser vermeintlich unheilvollen Vorhersage, die man Hideo Kojima schon hinsichtlich der Terror-Attacken in der Zeit nach Metal Gear Solid 2 nachsagte, hat er die Story für den Nachfolger Death Stranding 2 angeblich umgeschrieben. Auf den Game Awards 2022 erläuterte er: „Ich hatte die Geschichte schon vor der Pandemie geschrieben, aber nachdem ich die Pandemie erlebt hatte, habe ich sie komplett neu geschrieben. Außerdem wollte ich keine weiteren Vorhersagen zur Zukunft machen, also habe ich sie neu geschrieben.“

Diese Bachelorarbeit ist während der Corona-Epidemie entstanden und veröffentlicht worden und Anja Kurasov schreibt:


"Besonders in einer Zeit, in der die Menschen Masken, Impfungen und alle möglichen Sicherheitsmaßnahmen zur Eindämmung eines bedrohlichen Virus ablehnen, hat die individualistische Natur der Amerikaner maßgeblich zu der tiefen Kluft beigetragen, die in der Nation zu beobachten ist. Genau dieser Individualismus, der die Gemeinschaft missachtet und stattdessen das eigene Wohlbefinden und die eigenen Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt, ist genau das, was Death Stranding nicht nur in seiner Erzählung, sondern auch in seiner Spielmechanik kritisieren möchte. Das Spiel macht das individuelle Spielen absichtlich schwieriger und ermutigt die Spieler stattdessen zur Zusammenarbeit."


Sehr schön ist, wie sie die Graustufen innerhalb der Geschichte von Death Stranding herausarbeit und so darstellt, wie schwierig es sich Hideo Kojima in diesem Videospiel mit dem komplexen Thema der amerikanischen Einheit macht:


"Das Spiel geht sogar so weit, zu suggerieren, dass es in den Vereinigten Staaten nie wirklich Einigkeit gegeben habe, dass es nichts wieder zu vereinen gäbe, wenn die USA von Anfang an geteilt waren."


Dazu wählt sie das passende Zitat von Sam Porter Bridges, das man auch als Kritik der Digitalisierung interpretieren kann (auf die Hideo Kojima mittlerweile etwas anders blickt als noch 2019, aber dazu später mehr): „Die ganze Welt mit Kabeln zu verkabeln hat Krieg und Leid nicht beendet. Tu nicht überrascht, wenn alles auseinanderfällt, wenn du es noch einmal versuchst.“


Im Fazit ihres lesenswerten Essay schreibt Anja Kurasov: "Letztendlich möchte Death Stranding den Amerikanern nicht sagen, dass sie sich einfach den Fehlern ihrer Nation beugen und in Hoffnungslosigkeit schwelgen sollen. Stattdessen fordert das Spiel dazu auf, sich beim Blick in die Zukunft an die Fehler der Vergangenheit zu erinnern – dass das Festhalten an alten Denkweisen, Ideologien und Mustern nur ein Hindernis beim Versuch sein wird, eine bessere Zukunft aufzubauen. Im Kern möchte Death Stranding seine Spieler dazu bringen, über die Notwendigkeit und Bedeutung menschlicher Verbindungen und Bindungen untereinander nachzudenken und betonen, dass wir als Spezies nicht ganz allein überleben können."


American Exceptionalism in Death Stranding: Videogames and Culture von Anja Kurasov ist 2022 auf Englisch als Bachelorarbeit erschienen und an der Uni Regensburg frei einsehbar.


Ich heiße Jörg Luibl, bin freier Journalist und biete mit Spielvertiefung seit November 2021 ein unabhängiges Magazin an, in dem die Kultur und nicht der Klick relevant ist. Ich arbeite alleine und verzichte komplett auf Werbung, Kooperationen sowie über KI erstellte Inhalte. Diese Alternative zum Reichweiten-Journalismus ist nur dank der Unterstützer über Steady möglich. Vielen Dank an alle Abonnenten!

7 comentarios


Sven
Sven
07 mar

Nice. Ja, die Menschen sind schon eine ulkige Spezies. Aber das Bild von Natur als hoffnungsspendend finde ich gut. Ich stockte kurz am Wort "blühend", denn so habe ich die Natur in Death Stranding nicht wahrgenommen. Eher isländisch kühl, schroff, karg, unbarmherzig. Einfach weil wilde Natur auch das ist. Und dennoch der Mensch als Spezie immer noch einen draufsetzend, gerade die Amerikaner zur Übertreibung neigend. Daher die unberührte, wilde Natur, die einfach existiert, die sich nicht um den Menschen zu kümmern scheint, ist doch alles was uns bleibt und die wir brauchen, um zu überleben. Die von Kojima gewählte Landschaft ist nicht nur gameplaybedingt, sondern ein Abbild der individuellen, menschlichen Seele. Bei aller Skepsis ggü. dem kommenden Nachfolger: DAS wäre…

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Qugart
Qugart
08 mar
Contestando a

Ich werd da wieder auf einen Aufsatz warten müssen. Ich gehe davon aus, dass es wieder kein Spiel für mich wird, auch wenn es wahrscheinlich (wieder) ein Meisterwerk wird.

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Qugart
Qugart
07 mar

Das ist einer der besten Aufsätze im Bereich Game Studies, den ich je gelesen habe. Zum einen weiß ich jetzt, dass ich Death Stranding nicht durchspielen muss (zwei Versuche abgebrochen, wegen dem Gameplay), zum anderen ist es schön zu sehen, wie Kurasov hier das Spiel mit der Realität verbindet, bzw. die bestehenden Verbindungen verdeutlicht.

Besonders gefallen hat mir dabei auch dass gleich zu Beginn gesagt und gezeigt wird, dass das Feld der Game Studies nicht mehr separiert betrachtet werden soll.


Eines der Ziele dieses Aufsatzes ist es, mehr Licht auf dieses Medium zu werfen und zu zeigen, dass eine Analyse nur im Rahmen der Game Studies oft zu restriktiv sein kann. Konkret schlägt dieser Artikel eine kulturwissenschaftliche Sichtweise vor und…


Editado
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Qugart
Qugart
07 mar
Contestando a

Nö. Die America First Bewegung ist genau das, was Exzeptionalismus meint. Man kommt an erster Stelle, weil man besser ist als alle anderen. Vergleicht man das mit dem Römischen Imperium erkennt man da eine Ursachenumkehr. Die Römer sahen sich selber nicht per se als besser als alle anderen, sondern erkannten, dass sie eine Entwicklung durchgemacht haben, aufgrund dessen sie sich stetig verbesserten und schlussendlich von anderen als besser angesehen wurden. Was, zugegeben, dann im Endeffekt auch darin mündete, dass die Römer sich ebenfalls als besser ansahen.

Nur ist das eine quasi intrinsisch, das andere extrinsisch. Der Amerikanische Exzeptionalismus, wie auch diese unsägliche "Arier-Bewegung", fußt auf nix anderes als auf einen Gedanken gottgegeben besser als alle anderen zu sein. Und das,…

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