Was denken Historiker, Soziologen, Philosophen und Kulturwissenschaftler über Spiele? Über was wird in den Game Studies diskutiert? Vor zwei Wochen habe ich die Reihe mit "Auf Abwegen - Folk horror, Videospiel und das Problem der Natur" von Daniel Illger begonnen, in dem er sich u.a. mit Red Dead Redemption 2 beschäftigte; mehr dazu im Podcast. Danach folgte "Wie es wirklich war" von Eugen Pfister, in dem es um die Frage nach historischer Authentizität geht.
Heute stelle ich den Aufsatz "A Hero’s best friend? Held und Sidekick in mittelalterlicher Heldenepik, chanson de geste und digitalem Spiel" von Antonia Imbeck vor, der vielleicht auch deshalb ganz gut passt, weil tausende Rollenspieler gerade mit ihren Vasallen in Dragon's Dogma 2 unterwegs sind. Zwar werden diese nicht besprochen, der Text erschien im Oktober 2023, aber dafür geht es um einige prominente Helden und ihre Begleiter wie etwa Geralt und Plötze in The Witcher 3:
"Obwohl Plötze zur Protagonistin wird – nicht unbedingt zur heroisch-exorbitanten Hauptfigur –, übernimmt sie daneben die erwähnten Rollen des Sidekicks, aber nicht unbedingt auf die Weise, wie es die Spielenden erwarten würden."
Im Gegensatz zu Rise of the Ronin, wo Pferde für den Samurai einfach nur Transportobjekte sind, schlüpft Plötze als Begleiterin in eine aktivere Rolle. Es entsteht eine Kommunikation zwischen den beiden inklusive Ironie und Kritik am Helden sowie gefühltem Rollentausch. Imbeck nennt das ein "narrative gateway" zur Innensicht des Helden und gibt Beispiele:
"Daneben ist die Anspielung, dass Plötze ganze Ozeane überwinden könne, nur um dann am nächsten Gegenstand festzuhängen, nicht nur humorvolle Selbstkritik der Programmierenden, sondern auch ein kleiner Seitenhieb auf die sonst so exorbitanten Übermächtigkeit einer Figur, die dann letztendlich am Weidezaun scheitert. Besonders komisch wirkt die Verfolgungsjagd des Nachtmahrs, denn während einem eigentlich spannungsgeladenen Ritt wird übermäßig das Verhältnis zwischen Pferd und Reiter thematisiert. Die Rolle der Kontrastfolie wird besonders dadurch ausgefüllt, dass sich die Hierarchie von Held und Sidekick umgedreht hat und Plötze durch die Quest führt, das Wissen zum Auflösen von Rätseln besitzt und sogar Phantome sehen kann, die Geralt nicht sieht."
Interessant ist die Suche nach den literarischen Wurzeln dieser Beziehungen zwischen Held und Begleiter, die Imbeck vom Gilgameschepos bis zur Heldenepik des Mittelalters führt. Dabei wird zwischen menschlichen und tierischen Sidekicks unterschieden, wobei Hund und Pferd wohl schon in alten Zeiten die Favoriten waren. Hier werden als Beispiel die Sagen rund um den Helden Wolfdietrich sowie den König Ortnit aus dem 13. Jahrhundert herangezogen, in denen es um Abenteuer inklusive Burgen, Ritter, Ringe und einen Drachenkampf geht. Dabei geht der Aufsatz der Frage nach, inwiefern der Jagdhund von Ortnit und das Pferd von Wolfdietrich die Merkmale von Sidekicks erfüllen.
Sehr spannend ist schließlich die Einbeziehung eines ungewöhnlichen Paars, und zwar von Boss und Sidekick in Gestalt von Radahn und seinem Pferd Leonard in Elden Ring. Der mächtige General mit dem Beinamen Sternengeißel wurde ja wahnsinnig und von der Scharlachfäule infiziert, aber nutzte die Magie der Schwerkraft, um weiter auf seinem grotesk kleinen Streitross Leonard reiten zu können.
Dazu folgert Imbeck:
"Dass Radahn unter diesen un-menschlichen Bedingungen dennoch an seinem Pferd festhält, wirkt emotional involvierend und zeigt einen Rest von Menschlichkeit – interessanterweise nicht exorbitantes, rücksichtsloses Heldentum –, der Radahn noch geblieben ist. Das bietet für die Spielenden die Möglichkeit, sich doch dem verrückten Riesen verbunden zu fühlen. Zusätzlich lockert die Figur Leonard das düstere Setting des Spiels auf, fungiert als Kontrastfolie."
Der Aufsatz "A Hero’s best friend? Held und Sidekick in mittelalterlicher Heldenepik, chanson de geste und digitalem Spiel" erschien am 17. Oktober 2023 bei Paidia, Zeitschrift für Computerspielforschung.
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Ich denke, Imbeck sitzt hier einem Fehler auf, der auch gerne bei der Analyse von modernen Texten gemacht wird. Der wissenschaftlich gebildete Analyst geht davon aus, dass der Schreiber auch das Vorwissen über historische Texte hat. Dabei wird dann vom Analysten sehr viel in die modernen Texte hineininterpretiert.
Wie auch im Beispiel Plötze (aus dem Spiel, nicht aus den Romanen!) sieht Imbeck da Parallelen zu Beyrat (Malagis) und auch zum namenlosen Pferd von Wolf Dietrich. Ich bin mir aber so gar nicht sicher, ob die Questdesigner bei CD Projekt Red von beiden jemals gehört haben. Und wenn ja, ob sie auch tatsächlich beabsichtigt haben, diese Geschichten in einer moderneren, ludischen (oder gar ludologischen) Weise nachzuerzählen.
Plötze/Roach ist in meinen Augen…
Ich habe den Abschnitt zu Geralt und Plötze durchgelesen.
Aus Sicht eines Spielers, der vor allem The Witcher 3 mehrmals durchgespielt hat, fällt es mir relativ schwer, den Schlussfolgerungen und Thesen des Aufsatzes zu folgen.
Bis auf die rein optionalen Heldenrennen kann man das Spiel komplett ohne Plötze spielen. Die Bindung zum sogenannten Sidekick war zumindest bei mir nicht wirklich vorhanden.
Ganz im Gegensatz zu Epona bei The Kegend of Zelda oder dem Pferd bei Ghost of Tsushima.
Dem Pferd dort wird von Anfang an eine ganz andere Bedeutung zuteil, obwohl man es zunächst nur rein optisch verändern kann, (andere Eigenschaften kommen erst in der Iki Erweiterung hinzu) über die Begleitung (manchmal zwingend), bis hin zu seinem tragischen Tod nach…