In den letzten Wochen habe ich mich mit Berserk beschäftigt und nach Spuren eines Helden gesucht, der sich ähnlich wie Conan zu einem prägenden Archetyp der Fantasy entwickeln sollte. Aber Guts und seine Welt haben nicht nur Spiele von Final Fantasy bis Elden Ring beeinflusst, sondern tragen selbst eine reichhaltige kulturhistorische DNA in sich. Kentaro Miura, dieser viel zu früh verstorbene Meister des Mangas, war natürlich ein Kind seiner Zeit, der 80er und 90er sowie ihrer Comic-, Film- und Spielkultur, in der wiederum Mythen aus alter Zeit verarbeitet sowie Geschichtsbilder gestaltet wurden. Mehr dazu erfahrt ihr in dieser Vertiefung.
Eine interessante Spur, die letztlich im Sande verlief, möchte ich in dieser Erkundung nochmal aufgreifen: Die Gemeinsamkeiten beginnen schon beim Namen, denn Miura suchte für seinen Helden einen kurzen, hart und deutsch klingenden Namen - so kam er auf Guts. Er sprach selbst kein Deutsch, aber ein Studienkollege meinte, das klinge in unserer Sprache so ähnlich wie Katze. Das gefiel Miura, denn Guts würde in seinem Wesen einer Wildkatze ähneln. Die Vorliebe der Japaner für deutsche Begriffe, die in vielen Videospielen auftauchen, wäre auch nochmal eine Vertiefung wert...
In einem Interview wurde Miura auf diesen historischen Götz angesprochen und meinte:
"Well, it's funny that you mentioned it, but I've heard about this knight who helped a peasant revolution in Germany and the knight's name was Goetz. And he had an iron artificial arm. When I found out about it, I thought it was a strange coincidence. I don't know if he shot arrows from it. It was especially uncanny because I had already started Berserk. I wasn't really thinking of anybody at the time I created Guts."
Erst als Berserk schon veröffentlicht war, hat er demnach von dem fränkischen Reichsritter erfahren, der nicht nur fast genauso klingt wie Guts, sondern ebenfalls ein Ritter war und eine Armprothese trug - die übrigens wie seine imposante, 30 Kilo schwere Plattenrüstung bis heute erhalten ist: auf der Burg Hornberg kann man sie sehen. Die zweite eiserne Prothese war eine erstaunliche Konstruktion des 16. Jahrhunderts, mit Federmechanismus und beweglichen Gliedern für einzelne Finger. Götz hatte darauf natürlich keine Repetierarmbrust montiert, aber konnte auch ein Schwert damit führen - sein Beiname "mit der eisernen Hand" ist schon seit 1518 belegt.
Spätestens als Goethe diesen Götz von Berlichingen 1773 in seinem gleichnamigen Drama verewigte, gelangte er auch zu literarischer Berühmtheit. Schaut man in die Biographie dieses Ritters, ergeben sich neben Name, Profession und Ausrüstung weitere Parallelen zu Guts, wie z.B. die ambivalente Persönlichkeit: Auch Götz war als Söldner unterwegs, an blutigen Gefechten, Plünderungen und Fehden beteiligt und über lange Zeit eher ein skrupelloser Raubritter als ein tugendhafter Parzival. Zwar hat er auch gegen Fürsten und mal auf der Seite der Bauern gekämpft, aber vermutlich nicht aus ideologischer Überzeugung oder gar als politischer Rebell.
Erst Goethe macht ihn in seinem gleichnamigen Drama zum Freiheitskämpfer gegen den Adel, der seinen Trotz in dem bis heute berühmten Ausruf „er kann mich im Arsche lecken“ ausdrückte. Was bis heute nur leicht abgewandelt zum guten Hochdeutsch gehört, ist wiederum keine Erfindung Goethes, sondern tatsächlich historisch belegt - und zwar von Götz selbst. Er hat 1567 seine Aufzeichnungen hinterlassen, die hier nachlesen könnt: "Mein Gottfriden von Berlichingen zw Hornberg vhedt vnd handlungen." In diesen steht u.a.: „Da schriehe ich wider zu ime hinauff, er soldt mich hinden leckhenn."
Wer Berserk liest, findet von diesem Widerwillen und Trotz auch jede Menge bei Guts. Aber wie gesagt: Die Spur verlief im Sande, denn laut Miura gab es keine direkte Inspiration durch den Reichsritter. Ein seltsamer, aber kulturhistorisch überaus interessanter Zufall. Wer wissen will, welcher Söldner tatsächlich das direkte Vorbild für Guts war und welche Werke Miura beeinflusst haben, findet in der Vertiefung einige Antworten.
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Es würde mich freuen, wenn ihr auch an Bord kommt!
Auch Mozart hat "Leck mich im Arsch" getextet. Ob er sich auch von Götz inspirieren liess?
So oder so, ein spannender Beitrag, vielen Dank für dieses Hintergrundwissen.
Ausgezeichneter Ausflug, der 'unglaubliche' Parallelen aufzeigt.
Und zu den deutschen Begriffen in Japan: die sind echt an jeder Ecke, es ist ein Wahnsinn. In der Schreibwaren Abteilung bei tokyu hands stehen wahllose Wörter auf jedem mindestens zweitem Produkt.
Passend zum "hinden leckhenn" könnte er womöglich einen eisernen Mittelfinger hochgekurbelt haben... hehe schöne Erkundung ;)