Rezension: Assassin's Creed Shadows (PC, PS5, XBS)
- Jörg Luibl
- 20. März
- 25 Min. Lesezeit
Die Zeit der streitenden Reiche, die so genannte Sengoku-Zeit, in der Japan in einem Bürgerkrieg zwischen hoch militarisierten Clans versank und über die Portugiesen mit dem Christentum sowie Schusswaffen weitere explosive Kontakte knüpfte, gehört zu den beliebten Epochen der Unterhaltungskultur. Comics, Bücher, Filme und Videospiele von Nobunaga's Ambition, Sword of the Samurai über Onimusha bis Nioh entführen seit den 80er Jahren dorthin. Daher ist es erstaunlich, dass Ubisoft dieses Szenario erst jetzt für sich entdeckt. Vielleicht kommt dieser thematische Joker angesichts der Krise des Publishers ja genau richtig. Das Team aus Québec will die Anziehungskraft dieser fernöstlichen Epoche sowie frische Impulse wie zwei spielbare Charaktere und eine neue Technik samt Jahreszeitensystem nutzen, um das stagnierende Assassin's Creed in die Moderne zu führen.
Auf den Spuren der Assassine
Kurz zum kanadischen Studio und zum Status der Reihe: In Québec entstand 2018 Assassin’s Creed Odyssey, während Assassin's Creed Valhalla 2020 in Montréal und Assassin’s Creed Mirage 2023 in Bordeaux entwickelt wurde. Sie folgen alle derselben Formel in offener Welt, vom Adlerblick in der Höhe über das historische Flair in der Kulisse bis zum Kampf gegen die Templer in der Story mit ihrer Zeitreise durch Erinnerungen. En detail gibt es durchaus Unterschiede, jedes Studio und jeder Teil zeigt eigene Facetten. Aber das formelhafte Spieldesign stagnierte über Jahre in immer gleichen Abläufen und entfernte sich mit einer Fülle an Rollenspiel-Elementen immer weiter vom ursprünglichen Action-Adventure, das 2007 auf der PlayStation 3 erschien und mich bis zum zweiten Teil im Jahr 2009 gut unterhalten konnte. Doch danach ging es schleichend bergab. Und obwohl ich ein Freund der Wikinger sowie altnordischer Mythologie bin, ließ mich Valhalla z.B. komplett kalt.

Angesichts dieser Kritik versuchte Ubisoft mit dem schlanker designten Mirage ein wenig zurück zu den Wurzeln zu finden, mit mehr Schleichfokus, kompakteren Fähigkeiten und weniger sammelvoller Weltkarte. Das Abenteuer im Bagdad des 9. Jahrhunderts war zwar kein großer Wurf und letztlich zu zaghaft in der Reduzierung, aber konnte mich als erstes Spiel der Reihe zumindest solide unterhalten, so dass ich nicht nach drei Stunden genug hatte. Ich schrieb in der Breitseite Nr. 9, dass es mich beim Untertauchen in der Menge sowie dem Vermeiden von Kämpfen sogar ein wenig an die Premiere mit Ezio erinnerte. Aber es wirkte eher wie eine Fingerübung. Für dieses hinsichtlich Personal und Technik viel aufwändiger produzierte Shadows hatte ich auf mehr Konsequenz, Verbesserungen und angesichts der Ninja-Thematik auf einen noch deutlicheren Fokus auf Stealth-Action gehofft.
Der große Pionier dieser Spielart war ja Tenchu: Stealth Assassins, das 1998 auf der PlayStation erschien. Es inspirierte zusammen mit Thief und Metal Gear Solid nahezu alle folgenden Schleich-Abenteuer und gehört zu den größten Erfolgen für Acquire. Dass Ubisoft natürlich nur daran anknüpfen und diesem spezialisierten Weg in seiner offenen Welt nicht folgen würde, war klar. Und wie schwierig dieses Genre der perfekten Infiltration selbst in kleinen Arealen zu meistern ist, musste auch From Software erfahren, die sich seit 2004 zusammen mit K2 LLC von Fatal Shadows bis Shadow Assassins im Jahr 2008 immerhin sechsmal an Tenchu versuchten, das zwischen schwach und mäßig dahin dümpelte. Erst der geistige Nachfolger Sekiro: Shadows Die Twice konnte das Abenteuer rund um einen Shinobi samt Greifhaken im Jahr 2019 auf ein neues Niveau im Stil der Soulsreihe katapultieren.
Das prächtige alte Japan
Überhaupt ist die gegenwärtige Darstellung des alten Japan auf künstlerischer Ebene nicht nur beliebt, sondern überaus stark: Erst letztes Jahr hat die TV-Serie Shogun demonstriert, was großartige Schauspieler und Regie sowie ein Blick für Kleinigkeiten bis hin zu Mode, Sprache und Gestik leisten können. Außerdem wäre da als direkter Vergleich das sehr gute Ghost of Tsushima. Das spielte zwar im 13. Jahrhundert auf einer kaum bekannten Insel, orientierte sich aber ebenfalls an filmischer Ästhetik. Und damit gelang Sucker Punch bereits vor fünf Jahren genau das, was Ubisoft jetzt vorhat: das Abenteuer in offener Welt so zu modernisieren, dass es sich frisch anfühlt. Auch wenn so einiges in der Struktur den bekannten Mustern der Assassine folgte, verströmte Tsushima eine fast poetische Stimmung und erhielt ebenso wie Shogun auch in Japan viel Anerkennung, während Ubisoft sowie ein Hersteller von Sammelfiguren schon im Vorfeld in peinliche Fettnäpfchen tappte.

Ich erwähne das Remake der Fernsehserie und das exklusive Sony-Spiel ganz bewusst, denn man merkt Assassin's Creed Shadows an, wie aufmerksam das Team die beiden und vor allem Letzteres studiert hat, das vermutlich Ende dieses Jahres mit Ghost of Yotei fortgesetzt wird - dann übrigens im Jahr 1603, also nur kurz nach den Ereignissen von Shadows in der Edo-Zeit. Als kleine Beispiele für diese Aufmerksamkeit erwähne ich nur einige Aspekte, wie etwa das Ausziehen der Schuhe, sobald Charaktere ein Gebäude betreten. Oder dass man Tieren folgen und an bestimmten Orten meditieren kann. Aber noch akribischer hat sich Ubisoft mit der historischen Recherche beschäftigt, und zwar vom restaurierten Samuraihelm bis zur antiken Tempelstatue, von Briefen der Jesuiten oder dem Attentat auf Oda Nobunaga bis hin zum Einsatz der Nachtigallenböden in Festungen.
Dahinter verbergen sich lose verlegte Holzdielen mit Metallklammern und Nägeln, die selbst bei leichten Kontakten aneinander reiben und ein immer lauteres Zirpen von sich geben, das an den Gesang von Nachtigallen erinnert. In der Archäologie ist man allerdings nicht sicher, ob diese Geräusche tatsächlich bewusst hervorgerufen werden sollten oder ob sie nicht eher vom Verschleiß des Holzes stammten. Laut Überlieferung wollte man sich damit seit dem 17. Jahrhundert gegen eindringende Shinobi schützen. Und wenn man im Spiel den Adlerblick aktiviert, kann man sie manchmal als große Quadrate unter dem Boden erkennen. Da hab ich mich richtig gefreut. Aber um es vorweg zu nehmen: Es ist ein nettes historisches Zugeständnis, aber hat als Alarmanlage nicht funktioniert, denn als ich als Shinobi langsam darüber schlich, passierte leider nichts.
Der Tensho-Iga-Krieg
Immerhin hat sich Ubisoft für dieses Abenteuer mit Ninja und Samurai die optimale Phase des Bürgerkriegs ausgesucht: Denn in der Tenshō genannten Zeit von 1573 bis 1592, in der ja auch die fiktive Story des Films Seven Samurai von Akira Kurosawa spielt, trafen diese beiden fernöstlichen Archetypen in einem brutalen Krieg aufeinander. Das war also kurz bevor Japan im Jahr 1600 von Tokugawa Ieyasu geeint wurde. Außerdem verschmelzen diese beiden in der Popkultur so getrennt verstandenen, aber historisch viel enger verwandten Archetypen genau zu dieser Zeit in einem berühmten Vasallen von Ieyasu. Und zwar in Hattori Hanzo (1542-1597), der als Samurai und Ninja bis heute in vielerlei Gestalt bis zur Popkultur und Kill Bill weiterlebt. Überhaupt wurden in der Tensho-Phase einige Legenden der Shinobi geboren: Der Vater von Naoe, Fujibayashi Nagato, gehört ebenso dazu wie Großmeister Momochi Sandayu - wobei man sich darüber streitet, ob sie nicht ein und dieselbe Person waren.

Dass man diesen dreien im Spiel begegnet und ihre Heimat erkunden kann, gehört für mich ohnehin zu den Higlights, auch wenn die Weltkarte von Assassin's Creed über Osaka und Kyoto natürlich viel mehr Provinzen als Iga abdeckt. Das ist eine über schmale Pässe zugängliche Hügel- und Bergregion, in der sich Bauern, Händler und Priester in Familien mit eigener sozialer Hierarchie, religiösen Kulten sowie Miliz selbst verwalteten. Sie gilt neben Koga als Heimat der Shinobi. Zweimal fielen die Samurai-Armeen von Fürst Oda Nobunaga in dieses Gebiet der Hattori-, Fujibayashi- und Momochi-Clans ein. Dessen Unabhängigkeit störte sie nicht nur militärisch, sondern weil sie Einfluss auf die Handelsrouten von Ost nach West ausübten. Assassin's Creed Shadows rückt den Tensho-Iga-Krieg zwar in das Zentrum, aber erläutert die Gründe für Oda Nobunagas Invasion nur vage. In der Story tritt dann die fiktive Tochter eines legendären Shinobi quasi in die Fußstapfen des Assassinen Ezio - und das ist eine durchaus gelungene Verknüpfung, die sehr gut zur Reihe passt.
Legenden in Schwarz
Allerdings unterschieden sich die Shinobi gar nicht all zu sehr in Kleidung und Bewaffnung von jenen Samurai, die sie im Jahr 1579 unter den Bannern des Oda-Clans angriffen. Einige waren vielleicht leichter gerüstet, manche trugen Helme, andere Strohhüte, manche Katana, Naginata oder Yari. Aber sie waren als so genannte Bushi alle Krieger.

Unser heutiges Bild vom schwarz maskierten Ninja wurde erst viel später in der Neuzeit geprägt. Übrigens nicht zuerst von Hollywood oder ikonischen Videospielen wie The Last Ninja im Jahr 1987, sondern von einem berühmten japanischen Künstler. Im wunderbaren Holzdruck von Katsushika Hokosai aus dem Jahr 1817 sieht man zum ersten Mal eine in Schwarz verhüllte Gestalt, die ein Seil hinauf klettert. Doch für diese heute so fest verankerte Kostümierung gibt es keine historischen Belege. Übrigens auch nicht für weibliche Ninja wie die spielbare Naoe. Von ihnen konnte man erstmals in japanischen Romanen von Futaro Yamada (1922-2001) nach dem Zweiten Weltkrieg lesen, wie Historiker der Mie-Universität in einer aktuellen Studie betonen. Der in seinen Büchern wie "The Kouga Ninja Scrolls" verwendete Begriff Kunoichi für einen weiblichen Ninja bedeutete im 15. und 16. Jahrhundert einfach nur Frau.
Trotzdem gab es im feudalen Japan historisch bezeugte kämpfende Frauen, die man Onna-musha nannte. Archäologen der Universität Kyoto haben sie samt Knochenfunden und DNA-Probe als Kriegerinnen auf Schlachtfeldern der Sengoku-Zeit nachgewiesen. Und natürlich sind auch die Ninja keine Erfindung: Die für sie genutzte Bezeichnung Shinobi etablierte sich schon im 15. Jahrhundert für militärische Hilfstruppen. Die Clans aus Iga und Koga waren für ihre Kampfkünste im weitesten Sinne, inklusive Aufklärung, Spionage und Sabotage bekannt. Und ihr Mythos wurde in der ersten Schlacht des Tensho-Iga-Krieges begründet, als der Sohn von Oda Nobunaga 1579 mit seinen zahlenmäßig überlegenen Samurai ihrer Guerilla-Taktik unterlag. Der Historiker Stephen Turnbull nennt diesen Sieg einen "der größten Triumphe unkonventioneller Kriegführung über traditionelle Samurai-Taktiken". In den spielbaren Rückblicken kann man etwas davon mit Naoe erleben, wenn ein Trupp von eng marschierenden Samurai von versteckten Shinobi an einer Brücke im Hinterhalt aufgerieben wird.
Gewalt erzeugt Gegengewalt
Diese Schmach konnte Oda Nobunaga erst 1581 im verheerenden zweiten Feldzug gegen Iga wettmachen, als er mit 42.000 Kriegern aus verschiedenen Richtungen ins Tal marschierte und nach einer Woche Kampf und Belagerungen nichts als brennende Erde hinterließ. Auch dieses Gemetzel und die Verzweiflung der Iganer vor dem übermächtigen Fürsten kann man im Prolog von Assassin's Creed Shadows erleben, wo er sich wie ein düsterer Schatten über Naoes Zukunft legt. Eine Folge des gnadenlosen Krieges war, dass viele Shinobi-Clans flohen und danach bis weit in die Edo-Zeit von rivalisierenden Fürsten als Spezialeinheiten selbst ausgebildet wurden. Es war allerdings schon in den kriegerischen Zeiten davor immer wichtig, Feinde heimlich auszukundschaften oder Festungen zu infiltrieren, Entführungen und Mord gehörten ebenfalls dazu.

Eine weitere tragische Folge für Naoe ist, dass nicht nur ihre Heimat zerstört wird, sondern dass ihr Vater bei ihrer Verteidigung stirbt und eine Gruppe von zwölf maskierten Männern und Frauen sie mit ihm zum Sterben zurücklässt. Man rechnet nicht damit, dass die unscheinbare Naoe überlebt, aber sie wacht in der Obhut eines Jungen und eines Fremden in einer Hütte auf. Diese Maskierten bilden dann ähnlich wie in Mirage als anonyme Antagonisten einen Kreis der Rache im hübsch designten Questmenü, dem immer weitere Kreise mit potenziellen Opfern hinzu gefügt werden, von Ronin bis hin zu Clans. Das vornehmliche Ziel des Spiels ist es, sie alle zu töten.
Aufgrund der klaren Levelstruktur, die sich offen einsehbar auf Quests, Gegner und Gebiete bezieht, von denen manche erst ab Level 35 empfohlen werden, hat man allerdings keine komplett freie Wahl, sondern wird ein wenig geleitet und muss seine Stärke ständig anpassen. Das zweite Ziel ist der Ausbau einer geheimen Basis abseits vom besetzten Iga. Dort kann Naoe Verbündete wie eine überaus schlagfertige Priesterin oder einen überaus frechen Shinobi um sich scharen, die sie im Dojo entwickeln und in den Kampf rufen kann. Sie kann diverse Gebäude errichten, Waffen sowie Ausrüstung in der Schmiede verbessern, ein Netzwerk aus Agenten aufbauen oder einfach nur das Außengelände wie in einem Editor mit Bäumen und Brunnen verschönern und Katzen, Hunde sowie Affen aussetzen. Dieses Basis ist also ein kleines Aufbauspiel mit Verschönerungszeitvertreib.
Die Fratze des Krieges
Der Weg von Naoe von der fleißgen Schülerin des Shinobi-Vaters zur hasserfüllten Rebellin gegen Oda Nobunaga und seine Entourage wird einigermaßen nachvollziehbar in Rückblicken dargestellt, auch wenn so manche Dialoge trotz gelegentlicher Wahl der Antwort recht eindimensional und überhastet wirken. Außerdem wird die Kampfkraft der mädchenhaften Heldin etwas zu früh in einem Duell gegen einen hünenhaften Samurai aus der Armee Nobunagas auf die Probe gestellt. Hier beweist sie sich weniger als clevere Shinobi als vielmehr Fighting Girl mit Katana à la Soul Calibur. Und dieses gewöhnliche Ausweichen-Parieren-Zuschlagen gibt letztlich einen Vorgeschmack auf den Actionfokus sowie die Zugänglichkeit des kompletten Abenteuers. Kaum jemand dürfte erwartet haben, dass Ubisoft der Kampfkunst des Ninjutsu hier simulativ folgt, aber ein wenig Hoffnung auf mehr Ninjaflair war angesichts des Themas sicher gerechtfertigt.

Und selbst wenn die hässliche Fratze des Krieges hier angesichts blutiger Szenen so sichtbar wird wie in keinem anderen Assassin's Creed, selbst wenn es innerhalb der historisch inspirierten Geschichte um Trauer und Verlust, Rache und Vergebung geht, inszeniert Ubisoft nicht plötzlich ein Drama zum Reflektieren. Gerade zu Beginn wirkt es so, als würde jeder einfach nur töten wollen. Trotzdem gibt es die Möglichkeit über Dialoge nicht nur den Weg der Gewalt zu beschreiten bzw. zu empfehlen. Zwar kann das nicht immer überzeugen, aber offensichtlich hat sich die Regie um eine Charakterentwicklung von Naoe und Yasuke bemüht, die ja aus Feinden zu Freunden werden. Aber wie gehabt geht es hier um ein auf den Kampf fokussiertes Abenteuer. Zwar wird auch mal meditiert und in Gesprächen philosophiert, man kann an einer Teezeremonie samt Krimiflair teilnehmen, Aberglauben über Monster enttarnen und in einigen Quests sogar Leute verschonen. Doch meist geht es um Kills und es gibt mehrmals Aufträge wie 25, 50 oder gar 100 Banditen in einem Gebiet zu töten, so dass der Bodycount bald dreistellige Höhen erreicht.
Die brachiale Dampfwalze
Das Erlebnis blutiger Action wird vom schwarzen Samurai Yasuke noch verstärkt, der ja in zeitgenössischen Briefen der Jesuiten und einer japanischen Chronik an der Seite von Oda Nobunaga bezeugt ist. Selbst seine hünenhafte Erscheinung von zwei Metern wird dort erwähnt, wohingegen es für seine im Spiel sowie im historischen Roman African Samurai von 2019 dargestellte Teilnahme an diesem Tensho-Iga-Krieg keine Belege gibt. Was jedoch wichtiger ist als historische Fakten: Ubisoft hat überraschend viele Entwicklungen und Gestalten der Zeit überaus geschickt mit der Fiktion sowie der eigenen Science-Fiction verwoben, so dass ich erzählerisch gut und deutlich besser als etwa in Mirage unterhalten wurde, wo die maskierten Antagonisten viel zu blass blieben. Hier gibt es hingegen einige tolle und böse Überraschungen, mehr Verrat und Intrigen.

Aber zurück zu Yasuke: Schon im Einstieg erlebt man, wie der Sklave der portugiesischen Jesuiten die Neugier von Fürst Oda Nobunaga weckt und man kann ihm antworten. Nobunaga gewährt den Missionaren letztlich freie Bewegung in Japan, aber fordert den in dieser Szene noch Diogo genannten Mann quasi als Gegenleistung und nimmt ihn wie historisch verbrieft als Schwertträger in seine Dienste auf. Dann trennen sich Fakten und Fiktion, als er ihm die Frage stellt, ob er eine Legende werden oder sterben will. Als er Ersteres bejaht, soll er den Feinden Nobunagas alleine durch seine Präsenz Angst und Schrecken einjagen.
Er steht im Prolog also noch auf der Seite der Invasoren und Gegner von Naoe. Man spielt dort sogar, wie er sich durch maskierte Shinobi metzelt und als Dampfwalze durch Holztore brettert. Hier bekommt man eine erste Vorstellung davon, wie arcadig und brachial er später agiert. Und um es vorweg zu nehmen: Ich halte diese Zweigleisigkeit aus erzählerischer Sicht für eine interessante Idee, aber aus spielerischer Sicht für eine Fehlentscheidung, zumal es das Ninjaflair verwässert. Ich habe Yasuke letztlich nur ungerne übernommen, aber dazu später mehr.
Zwischen Kirschblüte und goldenem Herbst
Beeindruckender als der historische Rahmen, die Körpergröße von Yasuke oder der Bodycount ist ohnehin etwas ganz anderes: diese wunderbare Landschaft. Ubisoft war zwar schon immer gut darin, ansehnliche Kulissen mit authentischer Architektur zu erschaffen, die wie digitale Freilichtmuseen zum Spazieren zwischen Sehenswürdigkeiten einladen. Aber sie erreichten trotz pompöser Bauwerke und antiker Metropolen bisher nie diese besondere ästhetische Anziehungskraft, die ein Red Dead Redemption 2 mit seinem Licht im Wilden Westen, ein Death Stranding mit seiner kieselfeinen Naturgewalt oder ein Ghost of Tsushima mit seinem malerischen Rauschen im Wind verströmte. Viele Spiele können heutzutage ansehnliche Flora darstellen, aber wenige können noch nach zehn oder zwanzig Stunden dazu animieren, wirklich stehen zu bleiben und die Kamera langsam zu drehen.

Aber jetzt erlebt man zum ersten Mal in einem Assassin's Creed das Wetter im Wandel der vier Jahreszeiten. Und das hat es in sich. Denn es wirkt sich in seiner Vielfalt umgehend auf die Atmosphäre aus. Da peitscht nicht nur der Regen, bis man die Hand kaum vor Augen sieht, da wirbeln nicht nur einzelne Blätter in allen schönen Formen im Wind. Es gibt auch wunderbar diffuse Momente im nebligen Dunst oder dem Zwielicht der Wälder. Im Winter bewegt man sich schwerer bei sichtbaren Spuren durch den tiefen Schnee, Eiszapfen brechen beim Klettern ab und alarmieren Wachen. Man kann auf den zugefrorenen Teichen ausrutschen, die man im Sommer noch durchtauchen konnte - man findet übrigens auch so manche Kiste in Flüssen, Seen oder auf dem Grund des Meeres. Die Kirschblüte im Frühling in Kyoto zwischen den prächtigen Alleen zu erleben, ist einfach klasse, und im Herbst färben sich Hügel und Täler in der Ferne in Gold und Rot.

Die Natur wirkt dabei nicht künstlich steril, sondern bei verblüffend weiter Sicht klar, realistisch und natürlich, zumal nicht nur die Baum- oder Blumenarten, sondern der Großteil der Topographie vom Flussbett bis zur Hügelspitze der tatsächlichen Landschaft nachempfunden sind. Und darin kann man natürlich auch all die historischen Festungen und viele der heute noch erhaltenen Tempel entdecken, teils komplett rekonstruiert oder erst halb erschaffen. Wie etwa die mächtige Burg von Osaka, die ja erst 1597 fertig gestellt wurde und deren ausufernde Baustelle man im Spiel schon erkennen kann. Zur Wahrheit gehört zwar auch ein gewisses Maß an Copy & Paste in Form der hohlen Bäume zum Durchschleichen sowie vor allem die weit verästelten Kletterbäume, die immer so platziert sind, dass man recht locker in eine bewachte Anlage oder Burg kommt. Außerdem kann einem beim automatisierten Klettern oder Ausrutschen selbst im Gebirge eigentlich nichts passieren und man wird nicht von Strömungen in Flüssen weggerissen, so dass der Survival-Aspekt im Gelände kaum vorhanden ist.
Pferde und Reiher
Aber unterm Strich ist das für Ubisoft ein ganz neues visuelles Niveau. Und auf dieser Ebene löst man das Versprechen der Modernisierung ein. Ich war schon immer mal gerne als historischer Tourist in einem Assassin's Creed unterwegs, aber das hier fühlt sich aufgrund von Wind und Wetter sowie dem Farbenwechsel von Sommer bis Winter einfach wesentlich intensiver an. Außerdem gefällt mir das differenzierte Licht mit seinen vielen Stimmungen, zumal man bei Nebel oder im Sturm deutlich einfacher schleichen und meucheln kann. Nur eines gelingt Ubisoft nicht ganz so überzeugend: die Fauna. Zwar freut man sich über davon huschende Marderhunde, kann Katzen und Hunde streicheln, Füchse und Reiher beobachten und viele Tiere zeichnen, wenn man sich vorsichtig nähert und sie mit etwas Geduld fixiert. Und besonders gut gefallen hat mir das Auffliegen ganzer Schwärme von Seevögeln an der Küste, das wirklich beeindruckend ist.

Aber das Rotwild steht öfter ohne Scheu samt Kitz direkt neben einem. Und als ich in einer Quest einem verwundeten Hund half und schon die Hoffnung hegte, ihn als Begleiter wie in Fallout oder Kingdom Come: Deliverance zu gewinnen, war er selbst in der Basis nirgends zu finden und ich dachte schon an einen Bug, weil Naoe ihn doch als Wachhund lobte. Dann fand ich ihn überaus lieblos platziert unter tierischen Dekorationen im Baumenü, über das man ihn dann in den Garten setzen kann. Da war sie wieder, diese Künstlichkeit von Assassin's Creed, die sich übrigens auch im verwirrenden Animus-Menü mit seinen Währungen, Herausforderungen samt Belohnungen und Shopzugang zeigt, auf das ich noch eingehen werde. Aber zurück zu den Tieren: Die Pferde reagieren im Spiel seltsam bis gar nicht und wirken wie schnell designte Transportmittel. In Ghost of Tsushima und Red Dead Redemption 2 saß ich gerne im Sattel, aber hier war ich lieber zu Fuß unterwegs, obwohl man mit Naoe im Galopp auf dem Pferderücken hocken und von dort aus abspringend meucheln kann. Allerdings kann man auch einfach so vor den Augen der Besitzer mit jedem Pferd davon reiten, womit ich zum zweiten kleinen Dämpfer in der Erkundung dieser wunderbaren Landschaft komme: dem in der Summe recht statischen Figurenverhalten, dem mehr und vor allem konsequentere Abläufe und Situationen fehlen.
Figurenverhalten zwischen Dynamik und Statik
Auf den ersten Blick sieht Shadows angenehm natürlich aus, wenn die Leute Naoe beim Vorbeigehen ansehen und sich bewegen. Und es ist es toll, dass die Bewohner ängstlich und die Wachen aggressiv reagieren, sobald man sein Schwert zückt - hier lässt quasi Gothic grüßen. Außerdem gibt es subtile Reaktionen der Befremdung, wenn sich Naoe etwa zu nah neben Zuschauer eines Puppentheaters oder den Gläubigen an einen Schrein stellt, denn dann weichen sie kurz zurück und murmeln etwas auf Japanisch. Gelungen sind auch manche dargestellten Konflikte, wenn man etwa auf einen offenen Kampf trifft und abwarten oder eingreifen kann. Oder wenn man Händler wandern oder Schiffer sieht, deren Boote man sich allerdings recht plump ausborgen kann, falls man nicht von Insel zu Insel schwimmen will.

Andererseits gibt es im Land weder Prozessionen zu einem Tempel noch Marschkolonnen von Samurai-Truppen, die die Religion oder den Bürgerkrieg etwas greifbarer machen würden. Und man kann ansonsten kaum spontane Reaktionen im Alltag erkennen. Weder auf das ungemütliche Wetter, das die Leute nicht kommentieren oder scheuen, noch auf ungewöhnliche Akrobatik, wenn man einfach so vor ihnen die Wände hoch klettert, wenn man bei Leuten in die Privaträume spaziert oder manchmal sogar einen Banditen vor ihren Augen am hellichten Tag meuchelt. Wenn man Glück hat, gibt es mal eine Reaktion, aber gerade in den Dörfern und Städten gibt es nur spartanische bis gar keine Interaktionen, zumal es selbst an den Promenaden kaum Händler gibt - hier entsteht schnell der Eindruck hübscher Fassaden, die nicht besonders belebt sind. Das ist zwar nicht so statisch wie in Rise of the Ronin. Aber da ich kürzlich noch Kingdom Come: Deliverance 2 mit seinem verblüffend reaktiven Figurenverhalten gespielt habe, fallen mir diese Dinge auf. Und bei den Warhorse Studios arbeitet nicht mal die Hälfte der Leute.
Schön ist zwar, dass es auch Kinder und Alte gibt, dass Leute ihre Netze flicken oder sich unterhalten. Aber manche Gruppen sehen aus wie künstlich platziert und in Assassin's Creed Mirage gab es z.B. ein wesentlich lebendigeres Gewusel zwischen Passanten. Dort konnte man auf einer Flucht vor Wachen auch noch zwischen ihnen untertauchen, indem man sich irgendwo samt Kapuze auf eine Bank setzte oder in eine Gruppe stellte, so dass man nicht entdeckt wurde, was hier nicht möglich ist; genausowenig kann man sich verkleiden, um Wachen zu täuschen. Warum hat man dieses ursprünglich faszinierende Merkmal von Assassin's Creed hier gestrichen? Das ist mir unverständlich und sehr schade, denn dieses Täuschen und Tarnen hätte gerade zu den Shinobi gepasst, die es ja auch als Teil ihrer Taktik einsetzten, um Gebäude bzw. Burgen zu infiltrieren. Diese subtilen Manöver gehörten neben dem Kampf zur Tradition des Ninjutsu, die in Texten des 17. Jahrhunderts vom Shōninki bis zum Bansenshūkai beschrieben werden.

Seltsam wirken auch manche Begegnungen am Stadtrand, wenn man auf ein weinendes Kind samt Mutter vor einem toten Pferd trifft, aber sie partout nicht ansprechen kann. Es ist fast so, als hätten die Weltdesigner hier den Dialog oder die kleine Quest vergessen. Dieses Gefühl hat man auch, wenn man durch ein qualmendes Dorf wandert, das anscheinend kürzlich verbrannt wurde, aber niemand der trauernden Bewohner oder Wachen auch nur irgendetwas dazu sagt - es wirkt dann so, als hätte man die Regie auf stumm gestellt. Was man regelmäßiger sieht als natürliche Situationen ist ein künstliches Licht, das einem beim Beobachten einen neuen historischen Eintrag im toll illustrierten Lexikon beschert. Wer sich für die Geschichte Japans interessiert, dürfte da des Öfteren schmökern, denn Ubisoft hat von den Wundern Japans bis hin zu Feinheiten der Kultur und Kunst eine umfangreiche Datenbank integriert, die ich immer wieder gerne geöffnet habe. Allerdings habe ich in diesen Momenten bemerkt, dass ich von einem in der Story versunkenen Abenteurer doch wieder zum Touristen werde, der die Oberfläche abgrast.
Spione und Agenten
Es ist nicht so, dass es gar keine spontanen Dialoge samt kleiner Quest gibt. Zu Beginn des Spiels kommt es sogar öfter vor, dass man z.B. einen Konflikt zwischen einem Händler und unverschämten Wachen beobachtet und gefragt wird, ob man eingreifen will. Hilft man dem Mann, darf man sich nach dem Kampf aussuchen, ob er ein Gerücht aus der Gegend mitteilt, so dass irgendwo auf der Karte ein neues Ziel markiert wird - so habe ich die schöne Quest mit den Origami-Schmetterlingen gefunden, die auf den ersten Blick nach reiner Sammelei klingt, aber auf den zweiten in eine Entführung von Kindern samt Überraschung mündet. Ebenso wie die Quest um die Sichtung von Dämonen, die so genannten Yokai, die von den froschähnlichen Kappa bis hin zu den vogelartigen Tengu auf kreative Art lebendig werden. In diesen Momenten kommt dann richtig gutes Rollenspielflair auf.

Wer kein Gerücht hören will, kann den erwähnten Mann auch darum bitten, sich als Spion umzuhören, so dass die eigenen Agenten davon profitieren. Aber diese Art von kleiner Quest im Vorbeigehen macht sich irgendwann seltsam rar und man trifft später häufiger auf Leute, die zwar offensichtlich ein Problem haben, aber die man partout nicht darauf ansprechen kann. Nach etwa fünfzehn Stunden hatte ich das Gefühl, dass Ubisoft die Welt nicht konsequent zuende designt bzw. nicht gut genug gefüllt und vernetzt hat, zumal die spürbare Progression kaum noch vorhanden ist, wenn man die grundlegenden Aktionen für Naoe freigeschaltet hat.
Doch zunächst zurück zu den Agenten: Die kann man in seiner modularen Basis wie in einem Aufbauspiel mit Gebäuden rekrutieren und dann auf drei Arten nutzen. Sie suchen z.B. auf der Karte in einem Radius nach Questzielen, wobei sie von den Hinweisen des oben erwähnten Mannes profitieren würden. Wenn man sie nicht einsetzt, weiß man vielleicht nur, dass man in der Region Osaka im Norden eines verbrannten Dorfes suchen muss. Geht man dann dorthin, ist man allerdings nicht blind, sondern wird in der lokalen Nähe über den Beobachtungsmodus dorthin geführt, der Schätze als gelbe und Questziele als blaue Punkte in der Ferne anzeigt. Sprich: Ist man einmal an der richtigen Stelle, muss man nur ein wenig die Kamera bei gedrückter Schultertaste drehen, um Ziele zu sehen.
Wer gar nicht suchen will, kann allerdings auch ein GPS und noch mehr Komfort aktivieren. Außerdem können die Agenten größere Warenkontingente wie Holz & Co, die man auf seinen Beutezügen nicht sofort mitnehmen, sondern nur markieren kann, in die Basis schmuggeln. Dort braucht man sie für die Errichtung sowie das Aufstufen weiterer Räume vom Stall bis zum Dojo. Und sie können schließlich den Alarm in einem Gebiet verstummen lassen, so dass man dort gar nicht mehr gesucht wird. In Mirage gab es ja noch eine dreistufige Suchgefahr und man musste in den Regionen Steckbriefe vernichten oder Stadtschreier mit Münzen bestechen, um sie zu senken.

Unterm Strich sorgen diese Agenten für etwas Abwechslung, aber strategisch relevant sind sie nicht und man gerät nicht etwa ins Grübeln, wo und wie man sie einsetzen soll. Das liegt auch daran, dass es keine politischen Fraktionen gibt, die man mit ihnen beeinflussen könnte. Dabei drängt sich diese Zeit der streitenden Reiche mit all den Clans geradezu auf und Ubisoft hatte ja erst in Star Wars Outlaws gezeigt, wie Einflusszonen mit unterschiedlichen Reaktionen das Erlebnis auch taktisch bereichern können. Und wo wir gerade bei den Jedi von Massive sind: Das Anhören von Gesprächen zur Aufnahme von Codes, Hinweisen oder Quests wird hier nur ansatzweise eingesetzt. Klassische Rätsel gibt es so gut wie gar keine, auch wenn die elegante Übersicht der Aufgaben mit den in Kreisen dargestellten Zielpersonen ein wenig an die Indizien und Beweise aus Mirage erinnert.
Yasuke die Dampfwalze
Ab einem bestimmten Punkt kann man zwar jederzeit zwischen dem Samurai Yasuke und der Shinobi Naoe wechseln. Und in der Rolle des hünenhaften Ersteren fühlt sich das Spiel wie erwähnt noch mehr an wie ein blutiges Hack'n Slay, denn er brettert wie eine Lok durch Holztore, lässt reihenweise Köpfe fliegen und pfählt seine Feinde regelrecht. Obwohl das für ansehnliche brachiale Szenen sorgt, wirkt das recht plump und erreicht nicht diese martialische Eleganz, die man als Samurai in Ghost of Tsushima erleben konnte. Übrigens kann Yasuke sich ebenfalls verstecken und aus dem Hinterhalt töten, was allerdings unfreiwillig komisch aussieht und so gar nicht zu seinem offensiv herausfordernden Charakter passen will. Ich hatte jedenfalls recht früh keine Lust mehr auf Yasuke, obwohl er ganz eigene Waffen und Manöver entwickeln kann.

Richtig ärgerlich ist übrigens, dass man nur mit ihm neben dem Gewehr einen Yumi, also den japanischen Bogen einsetzen darf. Noch ärgerlicher ist, dass man dann trotzdem als Naoe eine Quest mit einem tollen Bogen als Belohnung meistern soll. Oder dass man von Aufgaben auf der Karte angelockt wird, nur um dann zu hören, dass diese ausschließlich von einem Samurai bewältigt werden können - immerhin kann man dann in Sekundenschnelle den Charakter wechseln. Letztlich kommt man im Laufe der Story um Yasuke nicht herum, selbst wenn es nur kurze Szenen sind. Und als ich dann mal wieder eine Sequenz samt Kampf mit ihm spielen musste, stellte ich fest, dass ich tatsächlich noch keinen seiner etwa 50 offenen Kenntnispunkte eingesetzt hatte, um seine Fähigkeiten oder Kombos weiter zu entwickeln. Bezeichnend für den Anspruch auf dem normalen Schwierigkeitsgrad ist, dass ich trotzdem problemlos alles wegmetzgern konnte, was sich mir da in den Weg stellte.
Schleichen mit Naoe
Ich bevorzuge also Naoe, mit der mir das Spiel deutlich mehr Spaß macht. Sie hat samt Greifhaken zum Klettern und Schwingen über Abgründe nicht nur akrobatische Möglichkeiten: Sie kann sich geduckt und kriechend bewegen, wobei sie schmale Schächte unter Häusern nutzen kann. Sie kann sogar Kerzen oder Laternen aus der Distanz mit einem Shuriken löschen, um im Schatten zu bleiben. Das ist cool, aber es gibt einige Inkonsequenzen, wenn man das plötzlich in ein und demselben Raum nicht mehr darf. An manchen Decken kann Naoe per Greifhaken direkt hoch und wie eine Spinne in der Höhe lauern. Sie kann Wachen mit einem Pfiff anlocken oder sie mit Geräuschen einer Glocke ablenken. Sie kann Wachen ratzfatz in Brunnen ziehen und besonders ansehnlich ist das Greifen plus Ziehen einer Wache, wobei man die Wahl zwischen bewusstlos Würgen oder Meucheln hat. Seine Opfer kann man im Heu, Gebüschen oder Kisten verstauen, damit sie nicht entdeckt werden. Besonders lustig ist, wenn ein übergroßer Samurai nicht in eine Kiste passt.

All das macht Laune und man kommt schnell in den Spielfluss eines Lauerjägers, der infiltriert, beobachtet und aus dem Hinterhalt messert. Aber seltsam ist, dass das perfekte Eindringen oder Meistern der Ninja-Künste weder besonders belohnt noch gefordert wird. Sprich: Ob oder wie oft man zwischendurch Alarm auslöst, ob man Wachen nur ausknockt oder meuchelt oder sogar die Bediensteten tötet, spielt keine Rolle. Man muss nur ganz selten mal einen Schlüssel finden, denn die Schatzkisten im Dachgeschoss einer Festung öffnen sich, wenn man eine bestimmte Anzahl an höheren und schwer gepanzerten Samurai killt. Die sind zwar stärker, aber wenn man seine Fähigkeiten im heimlichen Töten erweitert, ist die Suche nach ihnen meist aufwändiger als das Erledigen.
Kämpfen mit Naoe
Die schmächtige Shinobi kann ja nicht nur im Vorbeigehen nach einer Nebelbombe, ungesehen durch Papierwände oder wie ein Habicht versteckt aus der Höhe meucheln. Sie kann selbst im offenen Kampf mit Katana, Kunai, Shuriken & Co selbst gegen drei, vier Feinde auf der normalen Stufe locker gewinnen. Weil das Kampfsystem mit seinen Kontern sowie dem Durchbrechen von Rüstungen ebenso eingängig wie dynamisch ist, macht das ebenfalls Laune, mehr noch als mit Yakuse, weil man hier etwas mehr auf seine Aktionen achten muss: Es fühlt sich fast so an wie ein Sekiro light, wenn man erst zwei, drei mal hintereinander einen Angriff pariert, bevor man die Haltung des Gegners durchbricht, ihn akrobatisch überspringt und schwer trifft.

Besonders effizient und nahezu nicht zu verteidigen ist die Kombination aus Ausweichrolle plus schnellem Angriff, die Naoe so tänzerisch kämpfen lässt wie Schmetterling und Biene im berühmten Zitat von Muhammad Ali. Das sieht cool aus, aber ich war angesichts der Leichtigkeit als Shinobi doch etwas überrascht. Auch deshalb, weil die Wachen in der voreingestellten Variante blind für die Dächer sind und trotz klarer Sichtlinie einfach nicht wahrnehmen, was über ihnen passiert. Nach einem Alarm feuern sie vielleicht ihre Bögen ab oder werfen etwas, doch sie folgen Naoe nicht nach oben. Also kann man einfach hinter einer Ecke in Deckung geht und warten oder im schlimmsten Fall über die Mauer verschwinden und etwas später neu ansetzen.
Eine Stufe hochschalten
Das bedeutet in der Praxis, dass man recht früh ganze Festungen auslöschen und ausrauben kann. Das klingt vielleicht leichter als es ist, denn man muss schon taktisch einen nach dem anderen töten. Außerdem gibt es Gegner, die man selbst aus dem Schatten heraus nicht einfach killen kann, so dass man sie mehrmals angreifen muss. Und wer zu früh Alarm auslöst, wird auch gegen eine Überzahl unterliegen, zumal sie danach durchaus gewissenhaft die umliegenden Sträucher absuchen und recht hartnäckig verfolgen.
Trotzdem empfehle ich allen Souls-erfahrenen Spielern dringend den höheren Schwierigkeitsgrad, denn da sind die Wachen aufmerksamer und verfolgen auch in die Höhe. Also: Unterm Strich macht diese Stealth-Action light mit Naoe durchaus Spaß. Allerdings wird man hier nicht auf anspruchsvolle Schleich-Taktik à la Thief oder ausgefeilte Ninja-Kampfkünste à la Tenshu oder jene Manöver treffen, wie sie mit all den Spezialwaffen wie Sai, Tonfa, Falkenklaue oder Tessen in Texten des 17. Jahrhunderts vom Shōninki bis zum Bansenshūkai beschrieben werden.
Ausrüstung in der Leveltretmühle
Stattdessen trifft man auf ein Ausrüstungssystem mit zig Tantos, Katanas, Naginatas sowie viele anderen Waffen wie Yari, Yumi & Co, das mich mit seiner Masse und seiner Leveltretmühle früh genervt hat. Zwar entsteht nicht ganz der Overflow wie in Rise of the Ronin, und man kann ein Katana seiner Wahl theoretisch bis zum Ende des Spiels führen. Aber dann muss man es ständig in der Schmiede aufleveln, genauso wie seine Hüte oder Helme, Rüstungen oder Talismane. Obwohl vieles davon Namen trägt und manches cool designt ist, handelt es sich im Gegensatz zu den Waffen mit Geschichte sowie Storybezug in der Soulsreihe, um viel zu schnell vergängliche Massenware, der man keine Wertschätzung entgegen bringt. Das entwertet auch die Erkundung sowie die Spannung der Entdeckung, selbst wenn es sich um als ungewöhnliche oder legendär gekennzeichnete Beute handelt.

Die Ernüchterung geht nämlich im schlimmsten Fall so weit, dass man am Ende von toll designten Katakomben, nachdem man sich fast im Dunkeln verirrt und überall brav Kerzen angezündet hat, nachdem man wie Lara Croft durch Grotten geschwommen und über Abgründe geschwungen ist, und endlich in der letzten Kaverne angekommen vor einer Schatzkiste steht, sie öffnet, eine legendäre Klinge bekommt und ... sie schlechtere Werte hat als jene, die man gerade ausgerüstet hat. Überhaupt hätte man Gegenstände und Geschichte sowie Orte viel besser vernetzen müssen. Zwar ist das nicht immer so, aber selbst wenn man etwas Besseres findet, geht es vielleicht nur um ein paar Punkte mehr in Adrenalinaufbau oder Schaden. Meine Vorfreude auf weitere Beute sank nach etwa fünfzehn Stunden gegen null, ebenso wie jene über die anfänglich spürbare Charakterentwicklung, die sich irgendwann ähnlich wie die Verbesserung der Waffen nur noch auf bessere Statistiken bezieht.
Es macht Spaß, eine neue Fähigkeit wie das Durchstechen von Papierwänden oder den doppelten Kill aus der Höhe freizuschalten. Aber ein, zwei Prozent mehr Schaden oder Verteidigung mit einer Waffe sind einfach langweilig, vor allem wenn man fast alles heimlich killt. Immerhin schiebt Ubisoft der allzu schnellen Aktivierung der spürbaren und coolen Manöver in Form der Wissenspunkte einen Riegel vor. Sprich: Man kann nicht sofort mit den Levelaufstiegen alle Kenntnispunkte für alles ausgeben, sondern muss erst eine höhere Wissensstufe erreichen. Das klingt nach Rätseln und Philosophie, aber besteht darin, dass man z.B. als Naoe die Tempel aufsucht und dort entweder an drei Stellen betet oder drei Schriftrollen findet, um einen Wissenspunkt zu erhalten. Wer drei bis zum Aufstieg in die nächste Stufe benötigt, macht also eine Tempeltour. Mit dem erwähnten Beobachtungsmodus ist das allerdings schnell erledigt und so erhaben manche Anlagen mit ihren Statuen zunächst wirken, wird auch ihre Erkundung bald zur Routine, weil dort einfach nichts anderes passiert.

Last but not least muss ich das erwähnte Animus-Menü nochmal deutlich kritisieren. Die erwähnte Künstlichkeit dieser Oberfläche kann man immerhin noch damit erklären, dass es eben nicht nur eine Realität, sondern neben der gespielten Erinnerung eine weitere in der Zukunft gibt. Aber das wird angesichts mehrerer Symbole und Währungen verwirrend gestaltet und führt letztlich in den unsäglichen Shop. Denn neben Geld und all den Rohstoffen wie Gold, Holz & Co im alten Japan findet man dort noch drei andere Dinge: Zum einen die erwähnten Lichter, die die historische Datenbank mit Einträgen füllen. Hinzu kommen lila Datenfragmente, die sich quasi auf Störungen der erinnnerten Spielwelt beziehen und die man reparieren kann, um so innerhalb der Animus-Oberfläche eigene Questreihen bis hin zu einer finalen Belohnung zu verfolgen - was ich schon nervig finde. Und schließlich schweben da die unsäglichen goldenen Helix-Credits manchmal mitten in der Spielwelt, die als virtuelle Währung dienen und von denen es 500 Stück ab 4,99 Euro im Shop gibt. Was kann man damit machen? Nahezu alles kaufen, was es im Spiel gibt und vielleicht on top etwas Exklusives? Nein danke, Ubisoft.

FAZIT
Das Schöne und das Schreckliche, das Betörende und das Blutbesudelte, das Großartige und das Gewöhnliche, das Dramatische und das Statische prägen dieses Assassin's Creed Shadows wie zwei Seiten einer Medaille. Man erlebt neben der bemerkenswerten landschaftlichen Schönheit und architektonischen Pracht die verheerenden Auswirkungen all der Schlachten und Plünderungen. Man schleicht in den ersten Stunden elegant, kämpft brachial, erkundet neugierig und lauscht aufmerksam. Aber dieses Staunen weicht irgendwann der Gewöhnung, die so ansehnliche Spielwelt zeigt ihre kalten Oberflächen, die Illusion einer lebendigen Welt verfliegt, die Leveltretmühle beginnt zu knarzen, man verfällt in den Trott der ständigen Anpassung von Waffen und freut sich kaum noch über Beute. Dabei erweist sich die erzählerisch interessante Charakterwahl für mich als spielerische Fehlentscheidung, denn sie zieht einige faule Kompromisse nach sich und Yasuke sorgt als Dampfwalze für zu viel plumpes Hack'n Slay. In der Rolle von Naoe macht das Abenteuer wesentlich mehr Spaß, denn mit ihr erlebt man vielfältiges Infiltrieren, Ablenken und Meucheln, auch wenn ich mehr Tarnungen und Täuschungen sowie das Untertauchen in der Menge ebenso vermisse wie Feinheiten des Ninjutsu. Mit der zu kampfstarken Shinobi entwickelt sich nicht etwa der Anspruch eines Tenchu, sondern eher auf Zugänglichkeit getrimmte Stealth-Action light. Das ist okay, aber leider werden subtile Manöver oder das Vermeiden von Kämpfen nicht wirklich belohnt. Trotzdem hat mich dieses Spiel besser unterhalten als das ernüchternde Rise of the Ronin, denn ab und zu blitzt Rollenspielflair in guten Quests auf. Deren Qualität schwankt allerdings ebenso wie das Figurenverhalten. Mir fehlte nach etwa zwanzig Stunden die Progression und diese finale Harmonie zwischen Kampf und Erkundung, die das sehr gute Ghost of Tsushima auszeichnen. Ubisoft gelingt eine deutliche technische Modernisierung und die Story der Assassine wird kreativ mit dem historischen Tensho-Iga-Krieg verwoben. Das Spieldesign stolpert jedoch mit einigen Altlasten hinterher und was mich richtig genervt hat, war die Wertinflation der levelbasierten Ausrüstung, das verwirrende Animus-Menü sowie die unsägliche virtuelle Währung, die trotz Vollpreis nochmal in den Shop führen soll. Aber trotz der Kritikpunkte habe ich kein anderes Assassin's Creed der letzten Jahre so lange gespielt. Als historischer Tourist bin ich gerne durch dieses alte Japan mit seinen kulturellen Bezügen gewandert. Als Abenteurer hätte ich mir mehr Tiefe und Konsequenz gewünscht, wurde jedoch unterm Strich solide bis gut unterhalten. (Assassin's Creed Shadows, Ubisoft, PS5, eigene Aufnahmen)
PS: Damit die Diskussion an einer Stelle gebündelt wird, kann man nicht hier, sondern nur im Forum unter Kommentare zu Berichten kommentieren.
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