Rezension: Kingdom Come: Deliverance 2 (PC, PS5, XBS)
- Jörg Luibl
- 3. Feb.
- 26 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 4. Feb.
Sie lachen, sie scherzen und es fehlen nur noch die Turniertrompeten. Wenn man mit Heinrich und Hans unter schwarzgelben Fahnen zur Burg von Trosky reitet, fühlt man sich fast wie in einem Ritterfilm der 50er Jahre, als das Mittelalter in prächtigen Farben und aufwändigen Kostümen in die Kinos galoppierte. Man würde sich nicht wundern, wenn man gleich auf Ivanhoe oder Robin Hood trifft. Als sie dann noch "Das Glück belohnt die Tapferen!" ausrufen und ihren Pferden die Sporen geben, fordern sie ihr Schicksal fast übermütig heraus. Und das lässt sich nicht lange mit einer blutigen Antwort bitten. Über die folgenden 60 bis 100 Stunden entwickelt sich ein bemerkenswertes Rollenspiel, ein historisch inspiriertes Abenteuer zwischen Freiheit und Filmrolle, das mehr zu bieten hat als Schwertkampf, Buddy-Gehabe und Haudegenflair.
Ein schönes Wiederhören
Einen kleinen Vorgeschmack darauf, dass der Lohn dieses Abenteuers vielleicht nicht aus einer Prinzessin und einem Königreich bestehen wird, bekommt man kurz vor diesem Angalopp im Einstieg. Dort erlebt man die kleine, aber filmreife Belagerung von Sukdol im Jahr 1403, lernt mit der Armbrust zu schießen, Sturmleitern umzuwerfen und das Schwert zu benutzen, während um einen herum so gemetzelt, gestorben und geflucht wird, dass Gedanken an Ivanhoe und sein Pathos schnell verfliegen: Zeigen wirs den Schweinen! Scheiße, mich hats erwischt!
Letzteres wird man in den folgenden Stunden in der Rolle von Heinrich öfter als einem lieb ist denken, wenn man mal wieder verzweifelt nach einem Verband für die Blutung sucht. Denn der simulative Kampf unterscheidet sich deutlich vom Fixieren, Angreifen und Wegrollen gewöhnlicher Action-Rollenspiele. Er verlangt mit seinen vier möglichen Schlagrichtungen eine ganz andere Aufmerksamkeit für die Haltung des Gegners sowie die eigenen Manöver, die man mit dem Analogstick danach ausrichten sollte, um optimal zu parieren oder zu treffen.

Von diesem Anspruch merkt man im Tutorial noch nicht all zu viel, zumal man hier nicht Heinrich, sondern den recht toughen Pater Godwin spielt. So hört man das erste Mal die Stimme von Joachim Tennstedt aka Walter White aus Breaking Bad. Ich hab mich richtig über das angenehme Wiederhören und -sehen gefreut. Denn Godwin ist einer der markantesten Charaktere des Vorgängers, mit dem man damals in der tollen Quest "Die Wege des Herrn" ordentlich einen trinken und seltsames Zeug predigen konnte. Er war vor seiner Zeit als Priester ein Söldner und verkörpert mit seiner Erfahrung sowie seinem Humor einen wohltuenden Gegensatz zu den beiden Jungspunden - und er ist auch später spielbar.
Auf politischer Mission
Aber dann spult die Regie einige Wochen im Jahr 1403 zurück und man erlebt wieder den fröhlichen Ritt mit Schmiedesohn Heinrich, der seinen adligen Herrn Hans Capon als Leibwächter in einem kleinen Trupp begleitet. Sie sind als Boten im Auftrag ihres Lehnsherren Hanusch von Leipa zur Burg von Trosky unterwegs. Dort sollen sie den Burggrafen Otto von Bergow davon überzeugen, sich der Sache des böhmischen Königs Wenzel IV. anzuschließen.
Der wurde allerdings kurz vor Spielbeginn, im März 1402, von seinem jüngeren Halbbruder, dem römisch-deutschen König Sigismund, in einer Burg bei Wien gefangen gesetzt. Auch als Spieler ist man in der Rolle Heinrichs offiziell auf der Seite Wenzels, auch wenn man sich in Dialogen anders äußern kann. Aber ob der deutschstämmige Adlige Otto, der sich bisher nicht gegen König Sigismund auflehnte, ein rebellisches Bündnis zum Wohle Böhmens unterstützt? Oder besser gefragt: Was würde er dabei gewinnen?

Man wird Otto von Bergow in aller Ausführlichkeit selbst erleben und dazu hören, wobei das politische Geflecht sowie die Gnadenlosigkeit des mittelalterlichen Personenverbandstaates erkennbar wird, der sich für die Belange des einfachen Volkes nicht interessierte. Das Szenario dieses Rollenspiels im Jahr 1403 beruht bekanntlich auf historischen Ereignissen, kurz vor dem Konzil von Konstanz von 1414 sowie den verheerenden Hussitenkriegen, die immerhin fast zwanzig Jahre von 1419 bis 1436 tobten, inklusive einem innereuropäischen Kreuzzug. Apropos: dem Deutschen Ritterorden begegnet man auch im Spiel.
Zwischen Geschichte und Abenteuer
Und so einiges, was man im Spiel erlebt, zeichnet diesen blutigen Krieg zwischen den Anhängern des Prager Theologen Jan Hus sowie König Sigismund vor. Wobei Machtpolitik in Form von Geld, Lehen und persönlicher Bereicherung der eigenen Familie wichtiger war als nationale Interessen im modernen Sinne. Trotzdem ist es nicht falsch, dass sie in diesem Spiel des Öfteren anklingen, denn das Kontrastbewusstsein zwischen Tschechen und Deutschen war trotz der gemeinsamen Kulturgeschichte, die sich nicht zuletzt in Prag manifestierte, klar erkennbar.
Ich erwähne das auch deshalb, weil Kingdom Come: Deliverance 2 diesen Geschehnissen hinsichtlich der Personen und Ereignisse fast pedantisch folgt. Das ist für das historische Flair ein Segen, aber für das Abenteurflair kann das manchmal auch ein Fluch sein. Denn bis auf die fiktive Figur von Katharina, die als einzige Frau eine größere Rolle in der Story spielt, handelt es sich bei den meisten relevanten Charakteren um historisch bezeugte Gestalten. Und die hatten eher komplexe als dramatisch wertvolle Beziehungen.

Trotzdem profitiert die Story auch von sagenhaftem Flair. Denn sie erinnert schon in ihren Grundmotiven an die Legende von Robin Hood: Der englische König Richard Löwenherz wurde ebenfalls auf einer österreichischen Burg vom deutschen König Heinrich inhaftiert; die Angelsachen lehnten sich gegen die Normannen auf wie die Böhmen gegen die Deutschen; ein Rebell und Räuber wie Robin Hood samt Bande findet sich schließlich in Kingdom Come in der Gestalt von Jan Žižka (1360-1424), von dem der Chronist Andreas von Regensburg sagte: "Er war einäugig, von der Abstammung und Lebensweise her kein Adeliger und ein Räuber."
Burg von Trosky
Aber von all dem ahnt Heinrich noch nichts, als er mit Hans zur Burg von Trosky reitet. Und kaum sieht man die beiden stolzen Türme in der Ferne, hört man fast wieder die Trompeten und fühlt sich wie in einem Abenteuerfilm. Für Ivanhoe - Der schwarze Ritter von 1952 hatte MGM übrigens eine Burganlage nördlich von London errichten lassen, im so genannten British Hollywood. Außerdem hatte man vor der Kulisse von Doune Castle in den schottischen Highlands gedreht. Und diese Burg Trosky sieht ebenfalls so beeindruckend aus, dass sie zu Robin Hood und Sir Lancelot passen würde.
Die Warhorse Studios haben aus der heutigen Ruine im tschechischen Troskovice, die auf etwa 500 Metern zwischen zwei Basaltkegeln über der Landschaft thront, anhand von archäologischen sowie historischen Erkenntnissen eine prächtige, voll begehbare Festung samt Wehrgängen in der CryEngine gebaut. Wenn man in einem ihrer Türme durch die Schießscharten schaut, blickt man auf exakt das landschaftliche Panorama, das Besucher des böhmischen Naturschutzgebietes heute sehen - das ist übrigens eine Reise wert, ich war schonmal dort.

So schnell steigt man in diesem Rollenspiel jedoch nicht in ansehnliche Höhen. Das wird ein weiter Weg für Heinrich, denn die Burgtore bleiben ihm und Hans lange Zeit verschlossen und von Otto von Bergow ist nichts zu sehen - was ich für einen guten Kniff der Regie halte, denn diese Burg wirkt im Einstieg wie ein fernes Ziel. Und die in rotweißen Farben gewappneten Männer des Grafen sind misstrauisch, weil sie als Boten von einem Lehnsherren kommen, der den falschen König unterstützt. Außerdem treiben Banditen ihr Unwesen in der Gegend. Ihr Hauptmann will sie nicht einlassen, zumal sein Lehnsherr Otto nicht da ist.
Anspruchsvoller Schwertkampf
Also campiert der ständig empörte, oft nervig arrogante Hans Capon von Pirchstein an einem See in der Nähe und fordert Heinrich zu einem Übungskampf. Obwohl man offiziell dessen Leibwächter ist, wird man hier den erwähnten Anspruch bemerken und vielleicht verlieren. Und wer sich denkt, dass er ohne Kampftraining auskommt, wird sich bald wundern, denn das ist kein Rollenspiel, das man diplomatisch oder rhetorisch spezialisiert meistern kann.
Man muss sich richtig reinknien in das Kampfsystem und wird so oft von Halunken verhauen, dass man sich zunächst gar nicht vorstellen kann, irgendwann in Turnieren gegen schwer gepanzerte Ritter zu bestehen. Ich hatte die vier möglichen Schlagrichtungen erwähnt, die man selbst über den Analogstick wählen und auch an der Haltung des Gegners erkennen kann. Gegen bessere Schwertkämper erkennt man, wie sie diese Positionen geschickt wechseln, um einen zu überraschen. Um optimal zu parieren oder zu treffen sollte man sich darauf einstellen.

Das klingt vielleicht nach Sekiro, und es kann zu einem Klingentanz aus Paraden kommen, wenn beide effizient kontern. Aber das läuft hier wesentlich träger und natürlicher, denn die Schwünge und Stiche werden quasi komplett ausgeführt, so dass es weniger auf diese blitzschnelle Hand-Auge-Koordination als vielmehr taktisches Antizipieren und flüssig durchgebrachte Kombination wie rechts-links-rechts oder oben-links-rechts ankommt. Erst wenn sie voll durchkommen, trifft man effizient.
Die Simulation von Schwertkampf hat Videospiel-Entwickler schon immer fasziniert. Was mal mit Bushido Blade, Die by the Sword oder Kengo: Master of Bushido anfing, führte bis hin zu For Honor. Historisch inspiriertes Duell-Fechten inklusive Physik gibt es seit 2021 in Hellish Quart, noch näher dran an Kingdom Come waren 2019
Chivalry 2: Medieval Warfare sowie Mordhau, das nach einem offiziellen Schlag "beim geharnischten Kämpfen" der Deutschen Fechtschule benannt wurde.

Der Mordhau beruht auf historisch belegten Techniken, die u.a. in Hans Talhoffers Codex von 1467 beschrieben werden. Im 14. Jahrhundert gab es in Deutschland diverse Schulen und Meister, darunter Johannes Liechtenauer, der sich mit der "Kunst des Langen Schwerts" beschäftigte. Über die deutschen Bezeichnungen der Hiebe wie Oberhau, Mittelhau und Unterhau spottet übrigens auch ein Schwertmeister in Kingdom Come, der Heinrich den Meisterschlag beibringen will, falls man ihn nicht mit Holz, sondern in Eisen besiegt. Und da zahlt man ordentlich Lehrgeld.
Langsame Entwicklung
Überhaupt sollte man sich an Misserfolge gewöhnen, denn Händler brechen z.B. das Gespräch ab, wenn man beim Feilschen übertreibt. Und in den Multiple-Choice-Dialogen wird man nach einer Antwort des Öfteren das rote Gesicht der gescheiterten Überzeugung sehen, das anzeigt, dass sich der Ruf beim Gesprächspartner soeben verschlechtert hat. Apropos: So einiges spricht sich rum und der eigene Ruf kann sich von Ort zu Ort, von Adel zu Bauern unterscheiden. Wer den Leuten zu 100% sympathisch ist, hat einige Vorteile, wird u.a. weniger schnell verpfiffen.
Wie gut man jemanden überzeugt, hängt zwar auch von den kommunikativen Fähigkeiten sowie dem Äußeren ab, denn Kleider machen Eindruck. Man kann seine Antwort z.B. über den Einsatz der Redekunst, seines Charismas, seiner Macht oder Dominanz geben, wobei man seine aktuellen Werte dafür sieht. Doch wenn man sich als Heinrich zu viel auf seine 16 unter Macht einbildet und als Beschützer aufspielt, statt die Antwort mit nur 11 auf Charisma zu wählen, heißt das noch lange nicht, dass man damit sein Gegenüber beeindruckt. Es ist überaus amüsant, wenn sich die Leute dann über das schlechte Schauspiel Heinrichs lustig machen oder sagen, dass er gar nicht so tough aussieht wie er redet.

Aber keine Bange, ein Fehlschlag führt nicht sofort zu Konsequenzen. Genausowenig wie die Wahl der Klasse: Zwar darf man sich auf dem Ritt nach Trosky für Soldat, Berater oder Späher entscheiden, doch dafür bekommt man lediglich etwas andere Startwerte. Es gibt also keine exklusiven Talente oder gar spezielle Quests. Denn egal was man hier wählt, muss jeder in bestimmten Situationen arbeiten, kämpfen, reden oder schleichen. Und die Fähigkeiten in diesem Rollenspiel entwickeln sich neben dem Studium aus Büchern vor allem mit der Anwendung. Alles, was man praktisch macht, verbessert sich.
Übung macht den Meister
Sprich: Wer Säcke schleppt, steigert seine Stärke; wer feilscht, steigert seine Redekunst; wer Pfeile schießt, wird mit dem Bogen besser usw., bis ein Balken voll ist und man eine Stufe aufsteigt. Dann wird es erst richtig interessant, denn es gibt über 270 Spezialisierungen, mit denen man teils sehr nützliche Fähigkeiten freischaltet, die sich auf den Kampf, das Schmieden, den Handel, die Heimtücke, das Pferd, den Hund und alles Mögliche beziehen, so dass man im Idealfall neue Aktionen und Manöver zur Verfügung hat. Es macht Spaß, sich da reinzuwühlen.
Manchmal geht es nur darum, dass man weniger schnell verschmutzt, länger satt bleibt oder weniger Agilität oder Stärke für Waffen benötigt. Oder dass man Diebesgut leichter verkaufen und weniger schnell als Gauner entdeckt wird. Manchmal erhält man neue Manöver wie den Knockout von hinten, das ablenkende Bellen für den Hund oder das Niederreiten mit dem Pferd. Wer es darauf anlegt, kann sich mit Tarnung, Ausweidung und Schießkunst auf das Jagen oder so auf das Kräuter sammeln spezialisieren, dass er beim Pflücken sogar etwas Stärke gewinnt. Das ist jedenfalls motivierender, als wie üblich nach einem Levelaufstieg nur Werte für mehr Schaden, Ausdauer oder Lebenspunkte zu verbessern.
Trotzdem ist das ansehnliche Charaktermenü, das wie ein historischer Kabinettschrank mit zig Fächern designt ist, auch ein Eldorado für Statistiker unter Rollenspielern. Man muss sich ein wenig mit der Menünavigation auf der PlayStation 5 anfreunden, denn was zunächst wie abgeschnitten aussieht, lässt sich mit dem Analogstick links und rechts einblenden. Und dort gibt es für nahezu alles eine Zahl und Relevanz inkl. vergleichender Werte für Rüstungsteile, so dass man sofort erkennt, ob sich das Tragen eines Sächsischen Kettenhemdes unter einem ramponierten Kürass lohnt. Sehr schön ist, dass es verschiedene Schichten an Kleidung gibt, dass man z.B. unter einem Helm eine gepolsterte Haube tragen muss. Wer sich einfach so bis zu den Beinen voll panzert, wird allerdings schnell bemerken, dass Metall schwer ist und ordentlich scheppert. Zwar gibt es eine Grenze für die Traglast, aber man kann auch einiges auf das Pferd sowie alles in seine Zauberkiste packen, auf die man von jedem offiziellen Schlafort aus Zugriff hat.

Neben den vier Hauptwerten Stärke, Agilität, Vitalität und Redekunst gibt es die Zustände Ausdauer, Gesundheit, Energie und Sattheit - wer zu viel isst, bekommt ebenso Abzüge wie jemand, der verletzt oder gerade gefoltert wurde. Hinzu kommen abgeleitete Attribute wie Charisma, Auffälligkeit, Sichtbarkeit oder die erwähnten Geräusche. Dann gibt es neun Fertigkeiten wie Alchemie, Handwerk, Trinken, Wissenschaft, Heimlichkeit, Überleben, Reiten oder Hundeführer. Schließlich entwickelt sich der Kampf in sechs Gattungen vom Schwert über schwere Waffen und Stangen bis zur Faust und Schießkunst. Außerdem gibt es unterschiedliche Kombinationen für das Langschwert, das einhändige Schwert oder den Einsatz von Schwert und Schild. Nicht zu vergessen, dass sich der Schaden ändert, je nachdem, ob er stumpf, scharf oder spitz ausgeteilt wird.
Apropos: Man kann einige feine Manöver erlernen, darunter den sehenswerten Schlag mit der Schildkante. Und recht früh sollte man den oben erwähnten Meisterschlag in einer Quest verinnerlichen, der quasi eine offensive Riposte ist: Man schlägt genau aus derselben Richtung, aus der der Feind einen angreifen will, und zwar im Moment seines Hiebs. Das verlangt einiges an Timing, aber wenn es klappt, können Kämpfe schnell vorbei sein. Und weil das alles über Motion-Capturing aufgenommen wurde, sieht das klasse aus.
Neustart nach dem Überfall
Ich hatte den Ausruf "Das Glück belohnt die Tapferen!" erwähnt und wie Hans und Heinrich ihr Schicksal übermütig herausfordern. Und das antwortet sehr früh sehr blutig. Denn das Lager von Hans und Heinrich wird des nachts von Unbekannten überfallen, alle Männer werden getötet und nur weil die beiden zum Baden in den See gehen, bleiben sie verschont. Allerdings verlieren sie alles, ihre Pferde, ihre Ausrüstung und Waffen sowie den Brief ihres Lehnsherren. Sie versuchen trotzdem halb zerlumpt ihr Glück vor der Burg von Trosky, aber sie werden ausgelacht und abgewiesen. Und Hans stellt sich danach so anmaßend dumm in einer Schenke an, dass sie beide am Pranger landen.
Als sich Heinrich nach einem Streit von Hans trennt, beginnt das Rollenspiel in offener Welt und man atmet richtet auf, endlich alleine zu sein. Denn Hans und das Buddy-Gehabe können ganz schön nerven. Immerhin ist es nicht so, dass es keine anderen Stimmen gibt, denn neben Pater Godwin sorgen auch die Träume von Heinrich, in denen er auf seine verstorbenen Eltern trifft, für eine ernsthaftere Erdung. An einer Stelle fragt ihn der Geist seines Vaters, worum es ihm im Leben geht, um Rache oder die Liebe?

Und in der Rolle von Heinrich kann man beidem nachgehen, was ohne die Sprüche von Hans gleich doppelt so viel Spaß macht. Allerdings vermisst man seinen Hund und sein Pferd, die beide geflohen sind. Außerdem hat man weder Geld noch Waffen und weiß nicht einmal, wo man etwas zu essen kaufen oder schlafen kann. Wie soll man da anfangen? Immerhin bekommt man ein paar Ratschläge und erfährt, dass man entweder beim Müller oder beim Schmied nach Arbeit, und dass man bei den Nomaden im Lager nach Schwert-Training fragen könnte.
Kaum öffnet man die wunderbar illustrierte, an mittelalterliche Buchmalerei erinnernde Karte, sieht man jedoch überall die dunklen Wolken des Krieges. Sprich: Man kennt sich überhaupt nicht in der Gegend aus. Sie befindet sich ja zwei, drei Tagesreisen von der Heimat in Rattay entfernt. Also muss man sich Schritt für Schritt neu orientieren und ganz klein anfangen. Und das macht richtig Laune, selbst wenn man einige Rückschläge in Kauf nehmen muss und sich bald fragt, wie man bitte jemals ein Streitross oder eine Nürnberger Rüstung für 4000 Groschen plus X kaufen soll?
Spazierendes Abenteuer
Aber immerhin kann man die wunderbar dargestellte Landschaft mit ihren Feldern und Wäldern so richtig in sich aufnehmen. Und sich Pläne für die Karriere machen. Man kann sich frei bewegen und in einer verlassenen Scheune übernachten. Man kann zum Wilderer oder Banditen werden. Aber wenn man irgendwo eine ehrliche Arbeit annimmt, bekommt man nicht nur ein offizielles Bett, eine universelle Kiste und Aufgaben, sondern kann am Morgen aus dem Topf etwas essen. Und kaum tunkt man da den Holzlöffel in die wunderbar köchelnde Suppe, entfaltet sich wie schon im Vorgänger ein gemütliches Spielgefühl in angenehmer Trägheit, ein spazierendes Abenteuer, in dem die Bäume und Wälder die stillen Stars sind.
Ich habe selten so eine markante Flora erlebt, in der man sich zwischen zwitschernden Vögeln und davon huschenden Rehen umgehend heimisch fühlt. Die Übergänge von einer offenen Blumenwiese in einen dunklen Wald sind einfach famos, weil sich Pflanzen und Klänge umgehend ändern. Hinzu kommen die schroffen Felsen, die kleinen Bäche und Lichtungen, die diese wunderschöne Landschaft prägen. Red Dead Redemption 2 hat immer noch das bessere Licht, diese sehr spezielle malerische Atmosphäre, die auch von der vielfältigeren sowie weitläufigeren Natur des Wilden Westens profitiert.

Aber Kingdom Come: Deliverance 2 ist nah dran am mitteleuropäischen Sense of Wonder. Und die Welt erschließt sich langsam über tägliche Routinen. Das Brauen von Tränken oder das Schmieden wird fast wie in einer Alltagssimulation inszeniert, indem man einzelne Handgriffe hintereinander ausführen sowie das richtige Timing für kochendes Wasser oder erhitztes Eisen einhalten muss. Man zerstößt Kräuter im Mörser oder haut mit dem Hammer im Idealfall so rhythmisch aufs Metall, dass Heinrich zu pfeifen anfängt und man vom Schmied gelobt wird. Man kann seine Arbeit auch versauen und Material verschwenden. Man muss das aber nicht tun und kann frei umher ziehen.
Dabei kann einem alles Mögliche unterwegs begegnen oder passieren. Man kann auf alte Bekannte aus dem Vorgänger treffen, auf Händler oder Halsabschneider, auf Marktschreier oder abgehalfterte Raubritter, die einem vielleicht sogar ihre traurige Geschichte erzählen, wenn man nicht sofort kämpft, sondern nachfragt. Und je nach Tageszeit sowie Abgeschiedenheit kann es richtig gefährlich werden. Hat man auf der Karte mehrere Orte erkundet bzw. entdeckt, kann man zwar auch schnell reisen. Aber dann bewegt sich die eigene Figur über die Karte und es kann zu Zufallsbegegnungen kommen - genau so haben wir in Pen&Paper-Rollenspielen die Überlandreisen simuliert, mit einem durchsichtigen Plastikmarker bei gleichzeitigem Würfeln.

Dann darf man sich entscheiden, ob man etwa den harmlos aussehenden Mönch anspricht oder dem vor zwei Banditen fliehenden Händler hilft. Aber nicht immer klappt es, diesen Ereignissen auszuweichen. Und gerade zu Beginn endet eine Begegnung mit mehr als zwei Halunken oder gar Wölfen meist tödlich. Apropos: Es ist albern, dass diese Tiere in einer Quest schon wieder als Monster mit Boss inszeniert werden, die nicht nach einem Treffer fliehen. Und es ist überaus nervig, gegen sie zu kämpfen. Man wird geschickt umzingelt und abwechselnd gebissen, so dass da sehr zähe Situationen entstehen. Also freut man sich, wenn man heile von A nach B reisen oder fliehen kann. Aber mit der Zeit sammelt man immer mehr Informationen, wird stärker und routinierter. Und sobald man besser gerüstet ist, können einem einfache Banditen mit Knüppel, Streitkolben oder Jagdschwert nicht mehr viel anhaben.
Von Schätzen und Wilderern
Spätestens wenn man seinen Hund wieder hat, der sehr hilfreich im Kampf ist und anschlägt, wenn Wölfe oder Feinde in der Nähe sind, entwickelt sich ein Abenteuer mit zig Möglichkeiten, darunter einige amüsante Aufträge. Man soll eine Laute für die zwei Sänger Udo und Jürgen stehlen oder einen weißen Ochsen anmalen. Aber beides verlangt eine gewisse kriminelle Energie. Und wer sich darauf einlässt, einen im Baum hockenden Jäger vor Wölfen zu retten, darf sich auf eine Odyssee durch Wald und Flur mit einigen Überraschungen gefasst machen. Schön ist auch, dass man die zeitliche Dringlichkeit in Quests beachten muss: Wer für seinen wartenden Herren etwas erfragen soll und dabei zu lange trödelt, wird sehen, wie er wegreitet und abwinkt.
Man bekommt nicht nur immer mehr Aufträge, sondern findet Schatzkarten, die einen markierten Ort im Gelände zeigen, oder kryptische Reime mit einem Hinweis, und kann irgendwo in der Wildnis vielleicht unverhofft Beute machen. Einmal hab ich einen von einem Bolzen durchschossenen Apfel in einem Baum gefunden - und recht wertvolle Bolzen drumherum. Zwar verzichtet Kingdom Come auf Magie & Co, aber man kann mit einer Vielzahl an Tränken nahezu alle Fähigkeiten verstärken und sogar Nachtsicht aktivieren. Außerdem gibt es Aberglauben, Spukgeschichten und Legenden von Wassertrollen, denen man nachspüren kann. Ähnlich wie in Red Dead Redemption 2 scheinen die Grenzen zwischen Realität und Folklore dann manchmal in der Landschaft zu verschwimmen, wenn man an einem sumpfigen Ufer plötzlich eine seltsame Hütte mit Knochen und Artefakten findet.

Und was hat es mit diesem Mönch auf sich, der angeblich mit dem Teufel im Bunde ist? Das Questdesign führt einen geschickt an unbekannte Orte, vermittelt neue Fähigkeiten und wird mit der lokalen Situation verwoben, so dass man mehr über Land und Leute, ihre Abneigungen sowie die sozialen Hierarchien erfährt. Da bekommen die Mähren als Säufer ihr Fett weg, die Kumanen werden verabscheut und Heinrich kann seinem Hass auf das Reitervolk, das seine Eltern im Vorgänger ermordete, freien Lauf lassen. Aber er kann sich auch mit ihnen anfreunden, zu einem Besäufnis hinreißen lassen und sich torkelnd und Ungarisch singend auf der Suche nach mehr Schnaps in einem Wald verirren. Man erfährt auch mehr über die Kultur der Nomaden, wird in eine Fehde zwischen Fremden und Einheimischen verwickelt, die zu einer Familientragödie samt Blutritual ausufern kann, wobei man auf verschiedene Art eingreifen kann.
Das Lehnssystem, der so genannte Personenverbandstaat sowie der Konflikt zwischen Adel und Städten wird ebenso deutlich wie die vernichtende Auswirkung eines königlichen Heerlagers auf die umliegenden Wälder und Dörfer, die abgeholzt und geplündert werden. Überhaupt gehört die Darstellung dieser militärischen Zeltstadt mit all ihren Wappen und kleinen Abläufen zu den vielen visuellen Höhepunkten des Spiels. Dazu gehört mit Kuttenberg auch eine richtige Stadt, durch deren belebte Gassen man flanieren kann und die eine ganz andere Atmosphäre vermittelt, als etwa die Metropole Novigrad in The Witcher 3 oder Baldur's Gate. Das fühlt sich architektonisch und hinsichtlich der Tagesabläufe schon mit dem Gang durch das Stadttor angenehm belebt und vielfältig an, inkl. überraschender Ereignisse.
Wie in einem Hörbuch
Außerdem macht es Spaß, einfach mal den Gesprächen zu lauschen oder sie einzuleiten, weil sie meist natürlich ablaufen und klingen. Zu den großen Stärken des Spiels gehört die deutsche Lokalisierung, die ich zu den besten der letzten Jahre zähle. Dazu tragen die vielen prominenten Sprecher bei. Nich nur Heinrich und Hans werden von Leonhard Mahlich und Sebastian Fitzner sehr überzeugend gesprochen.
Einer der Antagonisten, Heinrichs alter Feind Istvan Toth, der immer noch das Schwert seines Vaters hat, wird z.B. hervorragend von Charles Rettinghaus aka Negan aus The Walking Dead verkörpert. Und spätestens wenn man den schon erwähnten Pater Godwin aka Walter White hört, möchte man sich wie in einem Hörbuch zurücklehnen. Und zwar so richtig weit: Denn das Drehbuch von Kingdom Come: Deliverance 2 soll etwa 2,2 Millionen Worte umfassen. Das wäre doppelt so viel Text wie im Vorgänger und man würde sogar Baldur's Gate 3 übertreffen, das bisher als Videospiel mit der umfangreichsten Story galt.

Ich habe die Worte nicht gezählt, und letztlich ist diese Masse auch egal, denn die Qualität stimmt. So mancher Ausritt mit Dialog war einfach toll und hat mich an die Gespräche im Sattel aus Red Dead Redemption 2 erinnert. Zwar kann man nicht jeden Bewohner ansprechen und außerhalb von Quests kann das manchmal seltsam wirken, wenn man z.B. einen Hof mit zwei, drei schweigenden Bauern betritt. Oder wenn man jemanden wiedertrifft, den man bereits kennen gelernt hat, ihn aber nicht darauf ansprechen kann. Aber in der Regel wirken die Begegnungen glaubwürdig, zumal die Leute ihrer Arbeit nachgehen, kochen, etwas essen und abends zu Bett gehen. Da wird gegrüßt oder mit "Sakra" fast bairisch klingend geflucht und die Bewohner reagieren sowohl auf das eigene Aussehen als auch das Auftreten.
Verblüffendes Figurenverhalten
Wer das schon in Gothic gemocht hat, wird hier die nächste Stufe des Figurenverhaltens erleben, denn es ist wesentlich vielfältiger und teilweise verblüffend reaktiv. Man wird als Fremder nicht nur misstrauisch beäugt und aufgefordert, das Haus oder Gelände zu verlassen, oder die gezückte Waffe sofort wieder einzustecken. Wer im Dunkeln ohne Fackel rumläuft, wird von Wachen streng ermahnt und von den Leuten angemault, denn man gilt als potenzieller Dieb.
Und was mir richtig gut gefällt ist, dass ein Kampf nicht zwingend auf den Tod hinaus laufen muss: Manchmal ergeben sich Unterlegene nach einigen Hieben, gehen in die Knie und heben schützend die Hände. Dann kann man sie schamlos ausrauben oder frei ziehen lassen, woran sie sich später erinnern. Zwar gibt es keinen Wert für Moral oder Ehre in der Charakterkarte. Aber wer offiziell Sünden begeht und verurteilt wird, kann sich an einer Ablasstruhe freikaufen. Und alleine die Tatsache, dass es diese Übergänge gibt und auch einige Quests verlangen, dass man nicht tötet, sondern gefangen nimmt, bereichert das Spielerlebnis.

Es geht auch um Kleinigkeiten: Heinrich fallen die Augen zu, wenn er müde wird und die Sicht verschwimmt ein wenig. Die Leute entschuldigen sich z.B., wenn sie zu nah auf einer Treppe an einem vorbei gehen und fluchen, wenn man sie mit dem Pferd streift. Hinzu kommen verwunderte Kommentare, wenn man etwa mit Blut im Gesicht vor einen Händler tritt, auf einem hässlichen Gaul reitet oder den Hund nicht bei Fuß führt - auch der Ärger darüber kann übrigens eskalieren, wenn er frei in einem Lager herum schnüffelt und plötzlich angegriffen wird.
Apropos riechen: Die Leute rümpfen die Nase, wenn man stinkt. Man kann sich ja an Trögen waschen, die überall in Dörfern zur freien Verfügung stehen. Allerdings wäscht man damit nur sein Gesicht, wohingegen die Blut verschmierte oder schmutzige Kleidung in einem Badehaus gereinigt werden muss. Es gibt also weit mehr als nur eine Zahl in der Charakterkarte über die Höhe der eigenen Auffälligkeit, die man durch gewöhnliche Kleidung senken und durch Prunkvolles erhöhen kann. Sehr nützlich ist übrigens, dass man sich mehrere Outfits zurechtlegen und auf Knopfdruck wechseln kann, falls man mal jemandem imponieren oder doch lieber nicht auffallen möchte. Es gibt so einige Gelegenheiten für Techtelmechtel und man kann plötzlich nackt auf einer Blumenwiese mit einer Lady liegen.

Man erlebt jedenfalls ganz unterschiedliche Reaktionen auf Mensch und Tier. Und das freut mich einfach als Rollenspieler, der so oft glaubwürdigen Alltag in Abenteuern vermisst. Die Schenken haben mir ebenfalls gut gefallen, auch wenn sie nicht so üppig inszeniert werden wie in Kettenkratz aus Horizon Forbidden West und meist lauschigen Biergärten gleichen. Da schwatzt nicht nur der Gastwirt über das eine oder andere Gerücht, so dass man vielleicht eine neue Aufgabe erhält. Da geht es gerade in den Abendstunden lebendig zu und manchmal muss man sich einen Weg an einer Schlägerei vorbei hinein bahnen. Die Leute tratschen an ihren Tischen, sie rufen nach mehr Bier oder torkeln irgendwann betrunken nach Hause. Wer hier aufmerksam zuhört, kann sogar Hinweise auf mögliche Verbrechen oder Schätze aufschnappen. Da sie nicht immer im Tagebuch landen, sollte man sich Notizen machen.
Würfelspiel
Außerdem kann man an einem unterhaltsamen Würfelspiel teilnehmen, das wie eine Mischung aus Kniffel und Bluff wirkt. Wer eine bestimmte Punktzahl erreicht, der gewinnt den Einsatz. Die Spannung entsteht dadurch, dass man eine Runde komplett leer ausgeht, sollte man weder eine 1 noch eine 5 würfeln. Im Laufe des Abenteuers sammelt man gezinkte Würfel, die z.B. eher gerade Zahlen werfen, und spezielle Einsatzmarken, mit denen etwas mehr Taktik samt Bonuspunkten möglich ist.
Auch hier erlebt man mehr als ein statisches Minispiel, denn der andere Spieler macht ein paar Sprüche, ist bei zu langer Grübelei genervt oder wundert sich über das Risiko. Manchmal stellen sich Leute an die Seite und kommentieren die Würfe in amüsanter Klugscheißerei. Zwar wiederholt sich hier einiges und es ist natürlich unrealistisch, dass sie selbst bei strömendem Regen ohne Dach einfach weiter da sitzen oder stehen, aber ich hab mich gerne dort zum Zocken hingesetzt.

Wer nicht auf Beute wetten will, sondern sie sammeln will, kann das zumindest im kleinen Maßstab tun: Man deckt überall Nester in Bäumen auf, die man herunter schießen kann. Darin kann sich ein Schwertknauf, ein Dietrich oder etwas anderes kostbar Glitzerndes verbergen. Das gehört ebenso zu den weniger realistischen Aspekten des Abenteuers, wie die überall frei verfügbaren Tröge oder Trockenständer, an denen man hundert Kräuter in einer Sekunde ewig haltbar machen kann. Sie befinden sich manchmal auf Privatbesitz, teilweise in Scheunen, aber man darf sie trotzdem nutzen.
Heimliche Manöver
Ich habe das Figurenverhalten im Alltag gelobt, das sich ebenfalls positiv auf die Schleichtaktik auswirkt. Zwar kann man leider kein Licht löschen, selbst einzelne Fackeln lassen sich nicht aus ihren Haltungen nehmen oder in Wassereimer stopfen. Aber man kann sich ducken, Steine zur Ablenkung werfen und im Gelände den Hund einsetzen, der auf Befehl mit seinem Bellen die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Man muss auf seine Geräusche sowie Sichtlinien achten, kann Türen öffnen und schließen (klingt banal, ist aber nützlich und komplexer zu designen als man denkt), aus Beuteln stehlen, von hinten bewusstlos schlagen oder meucheln und sogar Körper wegtragen, während die Ausdauer sinkt.
Aber Vorsicht: Für den Hinterhalt gibt es keine Erfolgsgarantie, denn das potenzielle Opfer versucht sich vielleicht aus dem Griff zu winden oder ist so gut geschützt, dass man doch in einen offenen Kampf verwickelt wird. Das erhöht natürlich die Spannung und man freut sich umso mehr, wenn alles reibungslos klappt. Doch man muss selbst nach einem Knockout daran denken, dass die Wachen Verstärkung rufen, wenn sie etwas Verdächtiges wie einen Körper finden oder etwas Wertvolles fehlt: Auf ihrer Patrouille grübeln sie laut, was der Dieb gesucht haben könnte.

Sehr hilfreich beim Infiltrieren ist die viuselle Anzeige der Alarmstufen über den lustig animierten Zeichentrickhasen, von seiner unschuldig weißen Routinesuche bis zur rot erhitzten Jagd. Und wenn man Privaträume, Häuser oder Gelände unerlaubt betritt, zeigt er einem recht deutlich mit dem Finger, dass man möglichst in den nächsten Sekunden verschwinden sollte. Denn sonst wird aus dem bisher nur wütenden Beobachter ein bewaffneter Verfolger. Verzieht man sich, bekommt man meist noch einen warnenden Spruch hinterher.
Thief lässt grüßen
Weniger gut gefallen hat mir das Schlösser knacken, obwohl ich eigentlich ein Freund anspruchsvoller Systeme bin. Es gibt unterschiedlich schwer verschlossene Kisten und Truhen, wobei man sich an zu komplexen erst gar nicht versuchen darf. Aber schon bei leichteren ist das feine Positionieren des Dietrichs mit dem Analogstick bei gleichzeitigem Drehen des Schlosses so übersensibel, dass sie sehr schnell brechen. Man kann es natürlich schaffen, man kann auch seine Fingerfertigkeit verbessern und Tränke nutzen. Doch das hat zumindest mit dem Controller eher genervt als Spaß gemacht. Mit der Maus am PC soll es laut Eike besser funktionieren.
Trotzdem steckt in diesem Spiel sehr unterhaltsames Potenzial für Gauner. In vielen Momenten erinnert das heimliche Infiltrieren und durch den Schatten huschen sehr angenehm an Thief. Eine der besten Szenen erlebte ich, als ich ganz leise hinter einer Wache eine Treppe hinunter tapste und eigentlich einen Stein werfen wollte, damit sie sich dorthin bewegt. Ich achtete gar nicht darauf, dass sie einmal die Nase rümpfte und wollte den Knockout versuchen. Also ging ich langsam näher ran. Doch dann wunderte sie sich erneut über den Gestank, und zwar über meinen, drehte sich um und ich wurde nieder geknüppelt - herrlich!

Das dynamische System von Strafen gefällt mir ebenfalls, denn Verbrechen sprechen sich tatsächlich rum, werden dem Vogt gemeldet und man sollte sich gut überlegen, wann und wo man etwas anstellt. Nicht nur wenn man auf frischer Tat ertappt wird, sondern auch, wenn man einmal gesehen wurde oder höchstwahrscheinlich der Täter ist, weil man schonmal von dort verjagt wurde, kann es einem an den Kragen gehen. Schlägt man z.B. vor einem Raub jemanden nieder, erinnert der sich später vielleicht an das eigene Gesicht.
Gefangen in der Regie
Doch nicht alles an Kingdom Come: Deliverance 2 ist so lobenswert wie das entspannt spazierende Gefühl, das simulative Rollenspiel oder das Figurenverhalten. Abgesehen von unbedeutenden, weil sehr selten vorkommenden Macken im grafischen Bereich, wenn z.B. mal Leute in der Luft sitzen, oder kleinen Logikfehlern, wenn eine Wache einen z.B. in einem erleuchteten Gebäude auffordert, eine Fackel anzumachen, betrifft meine größte Kritik die teils zu langen Missionsphasen. Denn die Regie zwängt einen dann manchmal über Stunden in ein Korsett, dem man sich fügen muss.
So lange das kleine Abschnitte in Nebenquests sind, kann diese filmische Leine ähnlich wie in Red Dead Redemption 2 sehr unterhaltsam sein: Dann reitet man zusammen in einem kleinen Trupp irgendwo hin, plaudert aus dem Sattel heraus, erfährt mehr über Land und Leute und erlebt auf der Suche nach einem verlorenen Handelskarren ein kleines Detektiv-Abenteuer inklusive einer blutigen Spurensuche in einem Wald. Ach so, der Hund kann an manchen Gegenständen schnuppern und so die Witterung aufnehmen.
Aber manchmal laufen diese Ereignisse zu linear ab und auf Trial&Error hinaus, obwohl man sie gerne anders oder zumindest flexibler hätte lösen wollen. Also kann man noch so viel Rhetorik anwenden, von der Drohung bis zur Schmeichelei, man muss diesen hanebüchenen Überfall genauso erleben. Das wäre verschmerzbar, wenn man dann nicht noch mit genau der einen Handfeuerwaffe diesen einen Ritter treffen müsste, damit das Skript so getriggert wird, dass man den Kampf nicht alleine gegen fünf, sechs Wachen austragen und damit hoffnunglos verlieren muss.

Und wenn man dann fliehen will, was sinnvoll wäre, darf man das Areal nicht verlassen. Diese künstliche Begrenzung wird auch an anderer Stelle eingesetzt: Als ich auf einer Hochzeit bin, diese irgendwann langweilig finde und mich verziehen will, darf ich nicht über die Burgmauer oder am Teich vorbei. Oder als ich nachts durch einen Wald schleichen muss, der von dutzenden Soldaten mit Fackeln durchkämmt wird, und versuchen will, ihn zu umgehen: Laut Karte kann ich das, mache also einen Umweg über das Feld, aber werde bald von unsichtbarer Macht gestoppt. Ich muss zurück und anders durch das Gebiet schleichen.
Hinzu kommen Hauptmissionen, die zwar erzählerisch toll inszeniert werden, Charaktere vorstellen sowie die Story vorantreiben, aber sich über Stunden an einem Ort ziehen und ebenfalls keine ganz freie Spielweise zulassen. Wenn man das erste mal auf der Burg Trosky ankommt, ist das wie erhofft sehr spektakulär, denn sie liegt als Festung mit hölzernen Wehrgängen und zwei Türmen zwischen Felsen. In ihr befinden sich herrschaftliche Räume, es gibt eine Schmiede, eine Küche und sogar einen unterirdischen Geheimgang.

All das ist cool, aber irgendwann kennt man die Burg quasi in- und auswendig, weil man dort über viele Stunden von A nach B und C geschickt wird. Außerdem dürften sich all jene gegängelt fühlen, die Heinrich konsequent als Ritter und gar nicht als Dieb spielen wollen. Denn dort muss man schleichen, egal ob man seinen Charakter bis dato darauf trainiert hat oder nicht. Mir hat das nichts ausgemacht, ich empfand das als frische verurteilter Gefangener auch nachvollzehbar, dass die Ausrüstung erstmal komplett weg ist, aber selbst als Schleichfreund strapazierte das mitunter meine Geduld.
Politischer Flickenteppich
Dazu gehörten irgendwann auch die Gespräche über Allianzen & Co, zumal man sie nicht wirklich beeinflussen kann und politisch weitgehend geleitet wird. Und obwohl der Bürgerkrieg nach zwei Fraktionen, also Wenzel hier und Sigismund da, klingt, wird er im Laufe der Geschichte aufgrund von immer mehr Beteiligten, Verrat & Co immer komplizierter. Das kann einerseits zu interessanten Quests führen, in denen die Grenzen zwischen Recht und Unrecht, Gut und Böse strapaziert werden.
Wenn z.B. der Vater offiziell ein treuer Lehnsmann des örtlichen Grafen ist, der Sigismund unterstützt, aber dessen Sohn nicht nur für Wenzel ist, sondern sich an heimlichen Attentaten auf Otto von Bergow beteiligt, hinter denen sich nicht einfache Banditen, sondern eine tschechische Widerstandsbewegung des niederen Landadels verbirgt. Heiligt der Zweck die Mittel? Muss die komplette Familie bestraft werden oder nur der Sohn? Und zu wem hält man selbst?

Als Spieler ist man plötzlich mittendrin, kann zwar als Vasall von Hans Capon nicht frei eine Fraktion wählen, aber z.B. entscheiden, ob die Leute, die man bis dahin auch alle persönlich kennen gelernt hat, verschont oder tatsächlich massakriert werden. Nicht nur in dieser gnadenlosen Szene wird deutlich, wie wenig ritterlich es zugehen kann und wie sehr die Bevölkerung unter den Fehden der Adligen leiden muss. Aber so lobenswert das ist, folgt die Regie manchmal zu sehr en detail verwirrenden Historie mitsamt der Herrenvereinigung, Jobst von Mähren & Co.
Sprich: Der Bürgerkrieg in Böhmen gleicht auch im Spiel einem Flickenteppich, in den ständig neue Muster gewebt werden. Im Vergleich zum Vorgänger wird das innenpolitisch insofern komplexer, als dass mit dem erwähnten Jan Žižka nicht nur der historische Anführer des oben erwähnten Widerstandes auftritt, sondern dass mit ihm als Anhänger von Jan Hus auch die Religion sowie das tschechische National- und Kontrastbewusstsein gegenüber dem römisch-deutschen Reich eine größere Rolle spielt. Vieles davon wird vorbildlich zum Nachschlagen dokumentiert, dazu gehören alle Charaktere, Orte und Ereignisse, so dass man sich informieren kann.
Als Historiker finde ich das ohnehin spannend, aber als Spieler hätte ich mir erzählerisch und innerhalb der Missionsabläufe manchmal mehr freie Leine gewünscht. Zu den vielen schönen Momenten von Kingdom Come: Deliverance 2 gehört daher die zufällige Begegnung mit einem verarmten Ritter, der sein Lager mit einem Knecht an einem See aufgeschlagen hat. Es entwickelt sich ein Gespräch bezüglich der laufenden Kriege mit ihren wechselnden Bündnissen. Dann sagt er frei heraus, dass er da nicht mehr durchblicken würde. Aber das Schöne ist: Das muss man auch als Spieler nicht, um Spaß mit diesem Rollenspiel zu haben.

Das liegt auch daran, dass die Warhorse Studios diesmal ein technisch und inhaltlich ausgereifteres Spiel präsentieren. Als der Vorgänger im Februar 2018 sein Debüt feierte, war das trotz über fünf Jahren Entwicklung nicht mehr als eine Beta mit vielen ärgerlichen Bugs, die über zig Patches ausgemerzt wurden. Bei einem Rollenspiel mit diesen Abläufen lassen sich Fehler und Glitches auch diesmal nicht verhindern, aber das ist eine ganz andere Produktionsqualität. Man darf auch die Größe nicht vergessen, denn es gibt zwei riesige, allerdings getrennte Gebiete mit eigenen Karten, zwischen denen man irgendwann mit dem Karren hin und her fahren kann.
Auf der normalen PS5, auf der ich gespielt habe, hat man die Wahl zwischen besserer Performance in 60 fps, dann wird das Bild auf 1440p hochskaliert, oder besserer Grafik in 30 fps, dann wird das Bild auf 2160p hochskaliert. Wer eine PlayStation 5 Pro besitzt, soll laut Warhorse sowohl die höhere Auflösung als auch die höhere Bildwiederholrate erhalten.
FAZIT
Pentiment avancierte zum Kritiker-Liebling, A Plague Tale: Requiem fesselte in der Provence und Manor Lords brach Steam-Rekorde: Das Interesse an historisch inspirierten Spielen im Mittelalter ist groß. Am liebsten würden die Leute selbst als Ritter durch die Lande ziehen, natürlich im Sattel mit Schwert und Schild. Aber bitte nicht so kitschig wie in der Fantasy von D&D! Diese Sehnsucht erfüllt Kingdom Come: Deliverance jetzt zum zweiten Mal, nur wesentlich reifer. Wer den Sense of Wonder des europäischen Mittelalters sucht, ein spazierendes Abenteuer in einer fernen Epoche mit Wäldern und Burgen, wird ihn hier finden. Kingdom Come: Deliverance 2 ist eines der besten Rollenspiele der letzten Jahre, das mich vor allem mit seinem simulativen Flair begeistert. Hier kämpft man nicht nur an einer Oberfläche, sondern erlebt ein lokales Milieu in all seinen Facetten - von den Tagesabläufen der Menschen bis hin zur sozialen Hierarchie. Man kann so viel ausprobieren, schleichen wie in Thief, kämpfen als wäre es Reenactment, erlebt Konsequenzen bis hin zur quietschenden Beinschiene, tolle Quests und erkundet eine wunderbare Landschaft. Auch wenn es hier und da mal haken oder statisch wirken kann: Die Produktionsqualität ist sehr gut und die hervorragenden deutschen Sprecher verwandeln das Abenteuer in ein Hörbuch. Zwar kann das historische Korsett manchmal ebenso nerven wie das Gerede von Hans, vor allem wenn man von der Regie über Stunden gefesselt und in seinen Handlungen eingeschränkt wird, bis hin zu Trial & Error. Aber sobald man wieder von der Leine gelassen wird und dieses Böhmen frei erkunden kann, entfaltet es umgehend eine starke Anziehungskraft. Dazu trägt auch das verblüffend reaktive Figurenverhalten bei, das weit über das hinaus geht, was Gothic seinerzeit so faszinierend machte. Ich wurde jedenfalls über 80 Stunden sehr gut bis ausgezeichnet unterhalten.
(Bilder: Kingdom Come: Deliverance 2, PS5, eigene Aufnahmen)
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