Ein Oger verliert schwankend das Gleichgewicht, kracht über eine Schlucht und bildet unfreiwillig eine Hängebrücke aus Fleisch. Man rennt frech über dessen breiten Rücken, lässt das Schwert auf seinen baumdicken Zeh krachen und das Ungetüm stürzt in die Tiefe. Später lässt sich ein Greif nicht so leicht besiegen, fliegt mit dem im Federkleid zappelnden Helden in den Himmel und landet hoch oben zwischen schroffen Gipfeln in seinem Nest. Selbst wenn man das überlebt: Wie kommt man bloß nach Hause?
Im Angesicht der Fabelwesen
Es sind beeindruckende Szenen wie diese, die man in Dragon's Dogma 2 erleben kann. Wenn man nicht zerschmettert, versteinert oder verbrannt wird, kommt man so richtig nah ran an antike Fabelwesen wie Minotauren, Medusen oder Drachen, die durch Wälder stapfen, in Höhlen lauern oder zwischen Wolken fliegen. Sogar ein Hauch von Shadow of the Colossus liegt in der Luft, wenn man sie ergreifen und erklettern kann. Manche, wie der aus dicken Felsen bestehende Golem, zeigen dann verwundbare Stellen, die ähnlich blau glimmen und die man wie im Klassiker treffen muss.
Zwar sind manche dieser Szenen konstruiert, so einige Kampfmanöver werden arcadig überzeichnet, aber die Gefechte beruhen auf einer tollen Freiheit samt physikalischer Konsequenzen und interaktivem Teamwork. Es ist ein cooles Gefühl, wenn man über die Eistreppe des Zauberers einem Oger auf Augenhöhe eins verpassen kann. Oder wenn man den Schild des Ritters wie ein Katapult nutzt, um einem Riesen auf die Schulter zu springen. Aber man muss vorsichtig sein, denn für manche Monster reicht akrobatische Tapferkeit nicht aus und man kann im Übereifer selbst zum Spielball werden.
Ein Flug durch die Landschaft
Dann wird man plötzlich von einem Hügel aus in eine Schlucht geworfen und sieht diese famose Landschaft an sich vorbei rauschen. Zwar ist die Natur en detail nicht so stark und vielfältig designt wie in einem Horizon Forbidden West, außerdem spürt man die Beschränkung der Bildrate, aber die offene Welt von Dragon's Dogma 2 sieht klasse aus. Sie ist ansehnlich und das Gelände ist wunderbar strukturiert, wirkt fast wie ein natürlich gewachsenes Wesen mit geheimen Winkeln und Wegen, die von einem idyllischen Bergpfad im hellen Licht in den Schatten einer Schlucht oder die Finsternis eines Waldes führen können.
Zwar gibt es Pfade und Wege, aber manche verlieren sich irgendwann im Dickicht. Und während auf der edel designten Weltkarte eine Straße zum Ziel führt, versperrt vor Ort vielleicht ein Geröllsturz das Weiterkommen und man muss einen Umweg wählen. Kaum entfernt man sich von der Sicherheit des Wegenetzes, führt jeder weitere Meter in eine urige Wildnis, in der nicht einfach hundert Tannen oder Fichten wie in einer Schonung geordnet stramm stehen, sondern imposante Wälder mit Baumriesen zwischen Felsgraten warten. Es gibt verwitterte Ruinen und ähnlich wie in Elden Ring weisen Statuen auf nahe Geheimnisse wie Höhlen hin.
Fremdkörper und Wasserangst
Schade ist nur, dass man Schatzkisten wie Fremdkörper für eine Ostereiersuche verteilt hat, die einfach so ohne Kontext rumstehen. Trotz dieser Immersionsbrüche fühlt man sich in der Landschaft wie ein Pfadfinder, wenn man eine Route zum Ziel sucht, zumal man klettern und als Magier in die Höhe schweben kann. So lassen sich einige Hügel und Felsen erreichen, aber wenn man zu tief stürzt, ist man sofort tot. Es gibt nur zwei Speicherpunkte, einen vom letzten Gasthaus sowie einen aktuelleren. Letzterer wird aber auch ohne manuelles Sichern so fair gesetzt, dass man meist kurz vor dem Tod bzw. Kampf wieder einsteigen kann.
Leider werden die starken Erkundungsreize ein wenig getrübt, weil man Wasser grundsätzlich meiden muss. Begibt man sich zu weit in Flüsse oder das Meer hinein, wird man von Monstern sofort gefressen. Das ist schade, zumal man ja auch den Zustand durchnässt erhalten kann, so dass man wie alle Monster anfälliger für elektrische Magie ist. So entfallen manche Routen und man wird nicht wie in einem Death Stranding von der Strömung fortgerissen, verzweifelt nach einem Halt suchend. Für das Questdesign im Gelände ist das wiederum hilfreich, denn so kann man den Spieler natürlich besser leiten.
Als ich besagte Sackgasse umgehen musste, blieb mir nur der Weg durch einen Wald, der schon bei Tageslicht düster wirkte. Als dann die Sonne langsam unterging, wurde es regelrecht gespenstisch. Das sind atmosphärisch starke Momente und ich wollte diese Nachtwanderung mit Laternenlicht schon genießen, da ertönte ein unheilvolles Brüllen. Weil ich bereits mehrere Oger besiegt hatte, stellte ich mich tapfer dem Kampf. Aber aus dem splitternden Gehölz stapfte ein Minotaurus, der meine Gruppe so richtig vermöbelte und mich schließlich in seiner Faust zermalmte.
In der Hitze des Gefechts
Zur Wahrheit dieser heroischen Geschichten gehört allerdings auch, dass sich einige spektakuläre Szenen wiederholen und dass sie mit etwas Gewöhnung nicht mehr an den einzigartigen Nervenkitzel der Kolosse von Fumito Ueda heranreichen. Zwischendurch erlebt man sehr viele gewöhnliche Gefechte gegen Horden von Goblins, Echsen, Wölfe & Co. Sie nerven sogar recht früh, weil sie alle paar Meter aus dem Gebüsch springen. Immerhin muss man sich gegen das Kroppzeug in der Regel nicht besonders clever anstellen und spult seine Manöver ab, während die anderen den Rest erledigen.
In den Gefechten kann trotzdem ein chaotisches Gefühl entstehen, das von der recht tiefen Schultersicht sowie der fehlenden Zielfixierung verstärkt wird. Sprich: Man kann die Kamera nicht für eine bessere taktische Sicht erhöhen und Gegner nicht fest ins Visier nehmen. Natürlich verstärkt genau das die Spannung bei Überfällen, weil man sich ständig neu ausrichten muss. Für Diebe oder Kämpfer geht es hier sofort Auge in Auge zur Sache. Als Bogenschütze und vor allem als Magier muss man erstmal ein Gespür für die richtige Distanz sowie das Timing entwickeln, denn Zauber brauchen ein paar Sekunden der Vorbereitung.
Gegen fordernde Feinde kann es jedoch hektisch werden, zumal man sich nicht immer zurückziehen kann. Und kaum schießt das arkane Feuer in breiten Fächern aus den Händen oder man lässt Erde in großen Brocken aus dem Boden schießen, sieht man die Hand vor Augen nicht mehr und ist froh, dass es kein Friendly Fire gibt. Auch das Abfeuern von kleinen Magiesalven oder Gelände versengenden Blitzen verlangt einige Geduld und Übung, damit man das Ziel trifft. Zwar kann man vier Befehle wie vorwärts, alle zu mir und so weiter geben, aber keine gezielten taktischen Manöver wie eine Linie oder Umzingelung.
Die Vollendung des Vorgängers
In der Regel verhalten sich die Vasallen einigermaßen sinnvoll. Aber manchmal hätte ich mir zumindest im Vorfeld eines Kampfes mehr Planung oder die Möglichkeit eines Hinterhalts gewünscht. Aber man kann sich gar nicht ducken oder schleichen, wenn man nicht den Dieb spielt. Vor allem wenn man Feinde in der Ferne erblickt oder später in heimlichen Missionen unterwegs ist, wirkt das seltsam. Als ich nachts jemanden im Gefängnis aufsuchen sollte, wollte ich immer wieder gebückt in Deckung gehen, aber das war als Magier nicht möglich. Dragon's Dogma 2 ist in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich.
Was für einige vielleicht wie eine neue Art von Action-Rollenspiel klingt, haben ältere Spieler in nahezu identischer Faszination und mit ähnlichen Defiziten hinsichtlich der spartanischen Befehle sowie des gefühlten Chaos schon im März 2012 auf PS3 oder 360 in Dragon's Dogma erlebt. Capcom inszenierte ja erstmals westliche Fantasy im Stil von The Elder Scrolls V: Skyrim. Man überzeugte mit einem innovativen Vasallensystem sowie akrobatischen Kämpfen auf riesigen Bestien in einer gefährlichen offenen Welt samt Tag- und Nachtwechsel.
Aber es hakte an einigen Stellen und war nicht ganz ausgereift. Director Hideaki Itsuno konnte damals nur zwei Drittel seiner Ideen umsetzen. Doch jetzt soll man, natürlich auch dank der leistungsfähigeren Technik, das komplette Abenteuer auf PC, PS5 und XBS in diesem zweiten Teil erleben. Der knüpft an nahezu alle Kernmechaniken des Klassikers an, sorgt vor allem mit den Kampfchoreographien für spürbare Begeisterung und die Videoclips von spektakulären Monstergefechten fluten gerade das Netz. Man hat tatsächlich das Gefühl, dass Capcom hier etwas vollenden möchte.
Menschen kontra Biestren
Man muss den Vorgänger aber nicht kennen, zumal dieses Abenteuer in einem Paralleluniversum spielt und nicht an die Ereignisse anknüpft. Es geht erneut um High-Fantasy in einer Welt voller Fabelwesen. Die Geschichte beginnt in Vermund, dem Königreich der Menschen, mit seinem europäischen Mittelalterflair samt Fachwerkhäusern und mächtiger Burg. Später erkundet man Batthal, das Reich der Biestren, das es im ersten Teil gar nicht gab. Sie herrschen als humanoide Katzenwesen in uralten Ruinen einer teils orientalisch anmutenden Wüsten- und Vulkanlandschaft. Außerdem gibt es noch einen Hauch von Tolkien über die Elben, die eher zurückgezogen leben.
Der Konflikt zwischen Vermund und Batthal wird von der unterschiedlichen Sicht auf den so genannten Erweckten geschürt, der für die Menschen ein Erlöser und für die Biestren ein Unheilsbringer ist. Auch zwölf Jahre nach dem Original schlüpft der Spieler in die Rolle dieser schicksalhaften Gestalt. Ihr wird von einem Drachen mit einer (viel zu dicken) Kralle fast chirurgisch das Herz entfernt. Trotzdem lebt er wie ein Untoter weiter, erhält sogar die Macht der Beschwörung von Gefährten und wird damit aufgefordert, sich auf den finalen Kampf vorzubereiten. Aber warum wählt der Drache seinen eigenen Jäger aus?
Ein Hauch von Skyrim
Das Geheimnis hinter diesem mythischen Kreislauf, zu dem auch Vasallen aus einer geisterhaften Parallelwelt namens Rift gehören, konnte man damals in Dragon's Dogma lüften. Ob sich diese Geschichte wiederholt, wird man im Laufe der Hauptquest herausfinden, die knapp 25 Stunden beinhalten soll. Weil die Spielwelt vier mal größer ist als jene auf PS3 und 360, mit mehr Nebenquests sowie Dungeons gefüllt, sollen Vervollständiger auf über 40 Stunden kommen. Das klingt im Vergleich zu einem 200-stündigen Epos wie Baldur's Gate 3 fast nach einem Kurztrip, aber der hat es in sich.
Denn bevor man überhaupt daran denken kann, sich dem mächtigen Drachen zu stellen, der einen wie einen Wurm zappeln lässt, muss man eine gefährliche Reise antreten, die im Einstieg an einen anderen Fantasy-Klassiker erinnert. Man ist noch schwach auf der vernarbten Brust ist, erinnert sich (mal wieder) an nichts und beginnt wenig heldenhaft als Gefangener in einer Mine. Die Beziehung zwischen einem Auserwählten und einem Drachen, dazu die offene Fantasywelt sowie diese Ausgangslage erinnern an The Elder Scrolls V: Skyrim, als man auf einem Karren angekettet in das Abenteuer rumpelte.
Charaktere nach Maß
Das mittlerweile dreizehn Jahre alte Rollenspiel war schon damals das kreative Vorbild für Hideaki Itsuno und man kann dessen Einfluss bis in diesen zweiten Teil hinein spüren. Auch wenn es einige sehr relevante Unterschiede gibt, auf die ich später noch eingehe, erinnern so manche Situationen in der Stadt sowie vor allem in der weiten Wildnis an Skyrim. Als man dort seinen Last Dragonborn erschaffen konnte, war die Begeisterung über Bethesdas Charaktereditor groß. Seitdem wurden sie ja immer detaillierter und realistischer, mit dem vorläufigen Höhepunkt in Cyberpunk 2077.
Auch Capcom lockt den akribischen Schöpfer, denn man kann den oder die Erweckte in nahezu allen möglichen Staturen von der Länge der Arme oder der Hüfte über die Form der Muskulator bis in die Haarspitzen oder Felltextur hinein vom Pummelchen bis zum Schlaks erschaffen, egal ob Menschen oder Katzenwesen. Wobei Letztere seltsamerweise auf dieselben Frisuren vom Diskutierpony bis zum Pottschnitt zurückgreifen müssen. Der Nachteil dieses Realismus zeigt sich spätestens, wenn man online auf Vasallen anderer Spieler trifft, die wie Ed Sheeran, Bud Spencer oder Lady Gaga aussehen - ich spiele jedenfalls komplett offline.
Automatisierter Aufstieg
Sowohl das Aussehen als auch die Klasse kann man später übrigens verändern. Zunächst hat man die Wahl zwischen Dieb, Bogenschütze, Kämpfer oder Magier. Wie schon im Vorgänger darf man nur einen Begleiter als Hauptvasallen erstellen, der parallel zum Helden in der Stufe aufsteigt. Allerdings dürften klassische Rollenspieler die Stirn runzeln, denn man passt weder zu Beginn noch nach einem Levelaufstieg typische Werte wie Stärke, Ausdauer & Co manuell an. All diese körperlichen Aspekte werden automatisch erhöht; geistige Attribute wie Intelligenz, Weisheit oder Charisma gibt es gar nicht.
Man kann sein Duo lediglich individuell ausrüsten, spezielle Kampffähigkeiten oder Magie freischalten und sich irgendwann für eine der sechs erweiterten Klassen wie Erzmagier, Krieger oder Trickster entscheiden. Diese Wahl bestimmt neben der Art von Zaubern, Attacken sowie Akrobatik auch die Rüstung sowie Waffen, die man tragen darf. Wechselt man z.B. vom Magier zum Erzmagier kann man den alten Stab nicht mehr führen und seine Gefährten nicht mehr heilen, aber dafür die Erde beben lassen und Ausdauer zurückgewinnen. Wechselt man vom Kämpfer zum Krieger verliert man den Schild, aber bekommt wuchtige Manöver mit Zweihandwaffen.
Statische Gespräche
Und wenn man einen Bogen findet, kann dieser nur von einem Bogenschützen ausgerüstet werden. Das geht so weit, dass man in einer frühen Quest einem schüchternen Elben einen von Menschen gefertigten Bogen kaufen kann, der daraufhin zum Dank irgendwo in der Wildnis auf einen warten möchte. Wenn man sich auf die Reise dorthin macht und ihn trifft, endet der Dialog sehr abrupt, falls man selbst kein Bogenschütze ist. Der Elb hat einem dann tatsächlich nichts mehr zu sagen. Man kann ihn auch nicht nach seiner Heimat oder dem Ort um ihn herum befragen, obwohl die wunderbaren Ruinen geradezu danach schreien.
Also lässt man ihn stehen und macht sich selbst auf den Weg hinein in die Schatten, aus denen schon bald ein lautes Brüllen zu hören ist. So lebendig und dynamisch die Kämpfe ablaufen, so statisch und eindimensional verlaufen oftmals die Gespräche. Es gibt auch mal Dialoge mit mehreren Antworten, aber hier wird nicht länger diskutiert oder so vielschichtig argumentiert wie in einem Baldur's Gate 3. Trotzdem muss man Capcom zugute halten, dass man jeden Bewohner ansprechen kann, dass jeder einen Namen trägt und dass manche, von denen man es nicht erwartet, etwas Überraschendes zu sagen haben.
Vier Wesensarten
Zwar fehlen rhetorische Fähigkeiten wie das Überzeugen, Lügen oder Einschüchtern, aber dafür wählt man für seinen Begleiter eine von vier Wesensarten (schlicht, besonnen, gutherzig, geradlinig), die sein Verhalten während der Erkundung sowie im Kampf stark beeinflussen. Ein gutmütiger Charakter ist quasi treu wie Sam Gamdschie, schleppt Verwundete selbstlos außer Gefahr und bleibt stets in der Nähe des Helden. Etwas irreführend sind manche Beschreibungen des Wesens, dass man etwa schlicht für einen Charakter nutzt, der von alleine die Gegend erkundet, immer neugierig ist und sich ins Kampfgetümmel stürzt.
Diese Automatismen machen einen Großteil eines Spielgefühls aus, das sich in seiner indirekten Gruppendynamik deutlich von jenem in anderen Rollenspielen unterscheidet, wo meist alles klaren Befehlen folgt. Es entsteht eine Form von fremdgesteuerter Party-Interaktion, die zwischen hyperaktivem Chaos und verblüffend hilfreichem Teamwork schwankt. Sobald man mit seinem Hauptvasallen sowie zwei weiteren Gefährten in einer Vierergruppe unterwegs ist, werden sie in Wort und Tat lebendig. Sie verweisen auf eine Leiter hier oder eine Entdeckung da, wollen wie eifrige Hunde voraus laufen und winken sogar hüpfend.
Selbstmörderische Tendenzen
Wenn man direkt auf einen ihrer Hinweise mit dem Befehl "Los gehts" reagiert, führen sie einen zu einem Ort in der Stadt oder marschieren selbst mitten in der Nacht zu einer Schatzkiste oder in eine Höhle. Manche von ihnen haben so genanntes questrelevantes Wissen, so dass sie als Scouts den üblichen Suchradar oder Zielmarker auf der Karte ersetzen. Die gibt es auch, so dass manche Gebiete für Quests auf der Karte gelb umrandet werden - so konnte ich z.B. recht schnell den Elben in der Wildnis finden. Natürlich ist man als Erweckter der Anführer der Gruppe, aber manchmal fühlt man sich fast ein wenig gegängelt.
Und man kann beim blinden Befolgen in selbstmörderische Situationen geraten, denn die Vasallen kundschaften den Weg nicht aus, sondern spurten vorwärts. Es gehört zu den Merkmalen der Wildnis, dass man recht zügig von einer Monsterzone in die nächste geraten kann, so dass man von einem Trupp Waldschrate durch eine Schlucht verfolgt wird und plötzlich einem Minotaurus begegnet. Falls man den Vorschlägen eines wagemutigen Vasallen nicht folgt, der mitten in der Nacht ruft und winkt, weil er irgendwo eine Höhle kennt, wird das übrigens vom gutherzigen Vasallen köstlich mit der Weisheit des Erweckten gerechtfertigt.
Zwischen Teamwork und Hyperaktivität
So entstehen manchmal richtig tolle Situationen mit lebendiger Party-Interaktion. Da steht man vor einem steilen Felsen mit einer Schatzkiste und die Vasallen fragen sich, wie man sie bloß erreichen kann. Man findet keinen Weg zum Klettern, aber wenn ich ins Menü meines Hauptvasallen gehe und dort den Schildsprung als Fähigkeit aktiviere, kniet er vor dem Felsen nieder und ich kann ihn als Sprungbrett nutzen. Schön sind auch kleine taktische Hinweise, wenn man gerade einen unübersichtlichen Dungeon betritt und sich gut umschauen soll. Und nach einem hektischen Kampf fühlt sich auch ein Abklatschen gut an.
Aber sehr vieles davon wiederholt sich recht schnell und die Kommentare können irgendwann nerven. Dagegen hilft nur das Deaktivieren der Untertitel plus Stummschalten ihrer Stimmen. Die Wesensart bestimmt übrigens, ob und was sie selbstständig sammeln, jagen oder herstellen. Und wenn sie eine Spezialisierung wie Wundarzt oder Wortkünstler besitzen, können sie alleine heilen oder eine Sprache wie Elbisch direkt übersetzen. All das führt dazu, dass sie im Idealfall wie eigenständig handelnde Gefährten wirken können. Und es ist schön, dass man KI-Verhalten endlich mal wieder über Laufwege und Kampf hinaus erleben kann.
Vasallen ohne Geschichte
Doch im Gegensatz zu einem Astarion oder einer Karlach fehlt diesen Vasallen etwas Entscheidendes: Sie tragen zwar Namen, sie haben Fähigkeiten, aber keine Geschichte. Sie sind in einem pragmatischen Sinn nützlich, aber sie reagieren nicht etwa lebendig oder kritisch auf das, was der Erweckte macht. Ihre Quests führen nicht zu ihrer Persönlichkeit oder auf dramatische Art in ihr Leben, sondern sind reines Holen und Bringen. Das Gefühl von Bots wird dadurch verstärkt, dass sie nicht aufsteigen und man so animiert wird, Vasallen zu entlassen und im Level stärkere Begleiter zu engagieren.
Das kann rein taktisch je nach Monster sinnvoll sein, denn wenn drei Magier aus der Distanz ihre Flächen deckenden Zerstörungszauber wirken, bleibt kein Stein auf dem anderen. Außerdem rechtfertigt die Story die fehlende Bindung der Vasallen zur Geschichte damit, dass sie ja quasi zwischen den Welten reisen. Von daher will ich das nicht zu stark kritisieren, aber es hätte die Anziehungskraft gestärkt, wenn Capcom den Gefährten auch erzählerisch mehr Konturen verliehen hätte. Immerhin droht irgendwann eine böse Überraschung, denn die so genannte Drachenpest kann ihr Verhalten negativ beeinflussen.
Wenn die Vasallen zu lange außerhalb des Rifts unterwegs sind, befolgen sie nicht mehr alles so freudig. Diese Ungewissheit bereichert das Spielgefühl auch in anderen Situationen, wenn man etwa in der Hauptstadt von Vermont von einer Gestalt verfolgt wird. In der Quest dazu heißt es, dass man den Verfolger stellen soll, aber wer ist es? Und falls es dieser Typ ist, der plötzlich wegrennt, wie kann man ihn fangen? Außerdem soll man diesem Geschichtenerzähler nachspüren, der von Kämpfen gegen eine Medusa erzählt und seltsam viel Gold für einen Bettler hat. Aber wohin geht er nach seinen Auftritten?
Es sind diese kleinen situativen Rätsel, die das Erkunden einer Stadt bereichern, die zwar auf den ersten Blick mit ihren Passanten und Händlern lebendig wirkt, aber auf den zweiten enttäuscht. Leider zeigen sich hier einige bekannte Defizite, die mal wieder den Stillstand dieses Genres verdeutlichen, das schon vor über zwanzig Jahren in Gothic weiter war. Immerhin reagieren Wachen (ich hatte ein, zwei Ausnahmen) darauf, wenn man in den Straßen die Waffen zückt. Aber man kann ohne Reaktion des Händlers hinter dessen Theke spazieren oder fremde Häuser betreten, wo Leute am Tisch sitzen, um dort ihre Kisten zu plündern - die natürlich auch auf Dächern warten.
Zwar macht Capcom in der Wildnis sehr vieles richtig, aber hier servieren sie eine künstliche Kulisse zum Abgrasen ohne glaubwürdiges Figurenverhalten. Doch ganz so steril wie in anderen Rollenspielen ist es dann auch wieder nicht, denn jemand bittet darum, eine Taverne aufzusuchen, weil dort jemand wartet. Also folgt man ihm und freut sich über die Natürlichkeit der Szene, die zu einem konspirativen Gespräch führt, mit dem die Story so langsam eingeleitet wird. Und spätestens wenn die Leute alle schreien, weil tatsächlich ein Oger durch die Gassen stampft, ist man wieder mitten drin in einem Abenteuer, das noch so manche Überraschungen zu bieten hat.
FAZIT
Ich konnte in diesem ersten Teil der Rezension nur das Offensichtliche beschreiben und an der Oberfläche kratzen. Viele Fragen sind noch offen, wie etwa jene zur Dramaturgie der Story sowie ihrer Protagonisten, die natürlich sehr relevant sind. Ich habe das mit dem Gespräch in der Taverne nur angerissen und werde den Faden dort wieder aufnehmen. Dazu gehört auch die Qualität und der Ablauf der Quests sowie die Entwicklung der Charaktere. Außerdem ist noch offen, welche Rolle eigentlich die Elben spielen und natürlich, inwiefern sich das Spielerlebnis im Reich der Biestren verändert, das ich noch gar nicht gesehen habe. Auch das Level- und Rätseldesign der Dungeons ist noch offen. Nach aktuellem Stand werde ich jedenfalls richtig gut unterhalten, ich bin weiter neugierig und freue mich auf die Geheimniss dieser offenen Fantasy-Welt. Aber aufgrund der erwähnten Defizite sehe ich aktuell noch kein ausgezeichnetes Rollenspiel oder gar ein Meisterwerk. Mal abwarten, wie sich Dragon's Dogma 2 entwickelt und ob es mich wie Baldur's Gate 3 erst ab dem zweiten Drittel so richtig begeistern kann.
(Bilder: Dragon's Dogma 2, Capcom, PS5, eigene Aufnahmen)
"..Niemand reagiert darauf, wenn man in den Straßen die Waffen zückt."
Äh, doch? Die reagieren eher schon über. Da verstehen die Leute echt keinen Spaß. :) Zumindest im ersten Dorf ist es so.
Beim stöbern in ihren Truhen sind sie allerdings deutlich toleranter.
Aber man ist ja auch schließlich der Erweckte, der darf das. ;)
Ich werde von dem Spiel klasse unterhalten und mag es, dass es teilweise auch mal verkantet daherkommt, das hat auch seinen Charme, selbst bei den Kisten an merkwürdigsten offenen Orten. Da kann ich es auch humorvoll verschmerzen, dass selbst mein nicht gerade hoch gewachsener Magier von Zauberhand seine Riesenspitzhacke dabei hat, wenn er sie braucht. Das Spiel hat den Vorteil, dass die Open World so passend ist, dass sie ihre eigenen Geschichten erzählen kann. Ich mag z.B. das beschränkte Schnellreisesystem mit den Reisesteinen wie in Teil I. Und ich habe mich mal auf den Transport mit einem Ochsenkarren eingelassen und die Option "einnicken" gewählt: Ich habe die halbe Map verschlafen und musste mich dann den doppelten Weg zum Questziel zurüc…
Ich muss sagen, dass ich von Dragons Dogma 2 sehr angetan bin. Kaum ein anderes Spiel hat mich so in seinen Bann gezogen wie es hier der Fall ist. Zuletzt war es Elden Ring, wo ich wirklich in jede Ecke gucken wollte und jeden noch so gewagten Sprung getan habe. Vor Elden Ring war es Red Dead Redemption 2, wo Rockstar es wirklich geschafft hat, den Flair des Wilden Westens authentisch rüberzubringen. Und Dragons Dogma hat es erneut geschafft, dass ich durch die Wildnis ziehe (zunächst wieder einmal mit Schild und Schwert) und ich einfach wirklich jede Ecke sehen möchte. An dieser Stelle möchte ich Euch empfehlen, das Gebiet nordwestlich der Neblingen Sümpfe zu besuchen, falls Ihr dies noch nic…
Irgendwie verstehe ich dieses Spiel nicht. Warum existiert es? Es wirkt 20 Jahre zu spät. Will man uns zeigen, was Open worlds interessant machen kann? Will man uns Fantasiewesen mit tollen Animationen und übergroßen Dimensionen servieren? Warum? Was ist daran neu? Klar, alles vom Gameplay her wohl ganz nett, technisch hingegen eher nicht. Und dennoch wirkt es insgesamt komplett random.
Ich finde es irgendwie schade, dass Hideaki Itsuno seine Vision nur halbherzig umsetzt. Klar, das könnte einige abschrecken, aber so wirkt es doch etwas halbgar. So mag ich z.B. dass vorgesehen war, nur einen einzigen Spielstand (mit den zwei Speicherplätzen) zu haben und man erst einen neuen beginnen kann, wenn man das Spiel durch hat. Aber das ist aufgeweicht, indem man den Spielstand manuell löschen kann. Und auch das wird mit einem Patch noch weiter aufgeweicht.
Ob mir das swhr gut gefallen hätte, kann ich nicht sagen. Aber es wäre mal wieder einer dieser Momente gewesen, bei dem sich ein Gamedirector endlich mal wieder etwas traut und den Mainstream verlässt.
Ich finde ja auch die Idee gut, dass man Schnellreisen…