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AutorenbildJörg Luibl

Rezension (Teil 2): Horizon Forbidden West

Wie immer gibt es diese Rezension auch zum Hören:




Durch die Wüste ins Paradies


In Horizon Zero Dawn diente der US-Bundesstaat Colorado als Vorlage, diesmal kommen Utah, Nevada und Kalifornien hinzu. Natürlich nicht maßstabsgetreu, denn Guerrilla verändert und verdichtet das Terrain, so dass eine kompaktere Wildnis entsteht, in der mehrere Klimazonen ineinander übergehen - vom Hochgebirge über Steppencanyons bis zum tropischen Strand. Wer der Hauptquest so folgt wie empfohlen, wird auch stückweise landschaftlich belohnt, wenn er sich durch Wildnis und Wüsten kämpft, um schließlich das vermeintliche „Paradies“ in Kalifornien zu erreichen.


Gebirge und Wasser werden aber schon vorher oftmals durch unterirdische Seen und malerische Grotten so elegant miteinander verbunden, dass man sich wie ein Höhlenforscher in einer Terra Inkognita fühlt. Wenn man vor einem tosenden Wasserfall auftaucht oder eine verschneite Bergspitze erreicht, hält man inne, um langsam die Kamera zu drehen. Denn das Panorama ist vom barock bewegten Himmel mitsamt der Wetterwechsel bis zur langsam untergehenden Sonne malerisch.


Vom Gipfel ins Tal gleiten...

Nur manchmal wird das fast perfekte Bild von einem Uhu zerstört, der mitten durch eine Felswand fliegt. Auch Horizon Forbidden West hat kleine Fehler, es gibt im Grafikmodus einige Popups, in manchen Szenen auch Clippings und Aloy kann schonmal irgendwo hängen bleiben. Außerdem haben viele Spiele in den letzten Jahren mit ihren Quadratkilometern oder Zahlen geprotzt, aber trotzdem nur Oberflächen visualisiert.


Nur wenige wie Red Dead Redemption 2 konnten eine Landschaft auch spürbar machen, indem sie vor allem das ganze Spektrum des Lichts, dazu Geräusche und Bewegung um eine Figur herum simulierten. Sprich: Aus der Perspektive des still stehenden Beobachters entstand die Schönheit des Augenblicks. Auch Guerrilla gelingt das und sie gehen einen Schritt weiter. Einerseits war das nach der beeindruckend markanten Landschaft eines Death Stranding technologisch zu erwarten, andererseits noch nicht in dieser visuellen Vielfalt sichtbar.


Die Magie des Augenblicks


In Horizon Forbidden West kann man nicht nur beobachten, wie das Morgenrot langsam über die Gipfel wandert, die Sonne plötzlich durch die Wolken bricht oder vom Eichhörnchen bis zum Fuchs etwas durch das Dickicht tapst. Man hat das Gefühl, dass die Luft lebendig ist: Da flattern nicht nur Schmetterlinge oder nachts Glühwürmchen, da schweben immer Blätter, Sporen und Partikel um einen herum, während der Sand an den Füßen verweht wird. Überhaupt der Wind: Es gibt Böen, die Sträucher und Bäume bewegen, kleine Strudel und Windhosen, die wie ein Djinn vor einem aufwirbeln oder sich zu Tornados entwickeln, so dass plötzlich der Boden bebt. Das alles spür- und hörbar in der Hand über den DualSense Controller.


Was lauert in der Tiefe dieses Sees?

Apropos Zuhören: Das kann mich nicht so begeistern wie die Kulisse. Zwar ist die deutsche Sprachausgabe hervorragend. Auch die Geräuschkulisse ist angenehm prägnant, denn jede Kreatur klingt anders, selbst eine Art Tinnitus wird simuliert, wenn man betäubt wird, und sie ändert sich je nach Umgebung stark. Lobenswert ist zudem, dass man tatsächlich versucht hat, fremde Instrumente der Stämme nachzuahmen. Aber die orchestrale Musik hat neben wenigen Höhen einfach zu viele Tiefen. Schon die vokalischen Abschnitte der Hauptmelodie, die auch im Menü erklingt, sind mir zu pathetisch, fast schnulzig. Und spätestens wenn die Chöre beim Stamm der Utaru im Hintergrund singen, wirkte das einfach zu künstlich und kitschig. Der Soundtrack ist gut, wenn er dynamisch neben dem Spiel rein akustisch unterstützt, aber er würde es nicht in meine Top 20 schaffen.


Noch etwas ist allerdings faszinierend: Aloy selbst. Auch wenn sie zu sauber wirkt, wenn man Schweiß und Schmutz vermisst (obwohl sie manchmal selber davon spricht, bevor man mit ihr in einen See springt): Alles an ihr bewegt sich mit, jeder Teil der Ausrüstung vom Köcher über Pfeile bis hin zu ihren Zöpfen. Zwar können Letztere komplett übertrieben tanzen, aber man muss bedenken, wie schwierig es für Spiele über Jahre war, auch das Haar mal realistisch abzubilden. Beeindruckend ist auch ihr Gesicht, ihre Augen, ihr emotionaler Ausdruck und selbst ihre Haut - wie viele Nuancen da bis zur Sommersprosse abgebildet werden. Okay, genug visualisiert: Guerrilla verwebt die faszinierend bewegte Wildnis sowie die filmreife Charakterdarstellung eines Uncharted in der prächtigsten Landschaft, die man aktuell erkunden kann.


Zwei vertikale Bereicherungen

Dieses Erlebnis ist deshalb intensiver als im Vorgänger, weil die Vertikale in zwei Bereichen interaktiv aufgewertet wurde: Ähnlich wie in The Legend of Zelda: Breath of the Wild klettert man flüssiger und freier in die Höhe samt dem Greifhaken des Zugwerfers, der einen schwungvoll an entfernte Ankerpunkte katapultiert, an denen man sich nochmal trampolinartig in die Höhe abstoßen kann. Besonders anspruchsvoll ist das Klettern nicht, denn man kann dabei fast nicht stürzen, aber es sieht verdammt cool aus und macht Laune, zumal manche Passagen frappierend an Uncharted erinnern, wenn sich Aloy an einem Hang hinauf arbeitet, etwas abbröckelt und sie gerade noch den letzten Sims erreicht. Und kaum erreicht man einen Gipfel, kann man mit dem neuen Gleitschirm bis weit ins Tal segeln.


Uncharted lässt grüßen.

Sehr schön ist auch, dass man die im Vorgänger fixen gelben Klettermarkierungen temporär über den Fokus einblenden kann. Allerdings werden diese nicht konsequent genutzt: Es gibt auch Wände, die man einfach nicht erklettern darf, obwohl sie genauso aussehen wie andere. Außerdem wirken einige Animationen beim Abspringen nicht ganz flüssig und es gibt einige ärgerlich penible Abfragen: Da ist in einer Ruine direkt über Aloy klar ein Seil zu erkennen, das sie auf die andere Seite bringen soll, aber sie kann es nicht direkt aus dem Stand erreichen, sondern muss exakt mit Anlauf abspringen. Hier passt der plötzliche Anspruch nicht zur Situation.


Noch wichtiger ist aber der zweite vertikale Bereich: Aloy schwimmt nicht nur, sie taucht spätestens mit ihrer neuen Maske bis in unheimliche Zonen, bis auf den Grund des Meeres - und da erkundet man samt der Korallen, Fische und Ruinen eine eigene Welt. Man kann Tempo aufnehmen, sich abstoßen und auch unter Wasser muss man Deckung zwischen Algen suchen, um sich zu tarnen. Es sieht einfach klasse aus, wenn amphibische Maschinenwesen wie Eisbären an einem vorbei schwimmen, mit angelegten Roboterklauen. Es gibt Strömungen und Bauwerke, Schätze und Rohstoffe, poröse Felsen und eingeklemmte Wesen, so dass sich das tatsächlich wie eine Erkundung anfühlt. Das Wasser und das Tauchen sorgen für eine ganz neue maritime Erlebniswelt.


Die Landschaft als Erzähler

Die Landschaft ist aber nicht nur spielbare Kulisse: Sie wird selbst zu einem Erzähler und vertieft damit die Story. Überall findet man Spuren des alten Amerika, vom Schrottpanzer bis zum abgestürzten Flugzeug, vom verwitterten Diner bis zur stillgelegten Fabrik, die man oftmals komplett erkunden kann. Neben diesen kleinen Hinweisen auf die Vergangenheit wirken monumentale Ruinen wie jene der Golden Gate Bridge wie architektonische Mahnmale des Untergangs.


Es gibt Ruinen über und unter Tage, hinzu kommen Festungen und Brutstätten..

Diese historische Urzeit, die schon im Vorgänger über Flashbacks sichtbar wurde, ist auch ein wichtiger Teil des Abenteuers - denn es gibt Verbindungen zur Story in versunkenen Ruinen, die man manchmal in einer Art Fotopuzzle in der Landschaft synchronisieren muss. Dann muss man im Gelände die richtige Perspektive finden, um ein Hologramm der Vergangenheit korrekt zu platzieren. Vor allem in den Ruinen, die teilweise Festungen gleichen, entstehen viel öfter als im Vorgänger entspannte Kontrapunkte zur Action, wenn Aloy erstmal Wege hinein finden muss.


Rätsel in Ruinen

Ähnlich wie in The Legend of Zelda kann sie nicht sofort alle Hindernisse bewältigen oder Zugänge öffnen. Wie kann sie z.B. die roten Wucherungen an Wänden beseitigen? Aber Stück für Stück eignet sie sich Spezialausrüstung an, darunter früh der erwähnte Zugwerfer, mit dem man entfernte Kisten oder Kräne heranziehen oder poröse Mauern einreißen kann. Man findet Codes in Notizen, die man in Terminals eingibt, muss nach Hinweisen im Gelände suchen, durch Schächte kriechen oder Eisenbahnwagons verschieben. Über logische und akrobatische Kombinationen bahnt man sich also einen Weg zu einem Artefakt. Das macht richtig Laune. Und es erinnert angenehm an Uncharted.


Die ruhigen Rätselabschnitte machen Laune.

Während in diesen verfallenen Bauwerken fast heimatliche Wehmut aufkommt, sorgen die Brutstätten für alieneske Befremdung: Man fühlt sich zwischen Kabeln, Maschinen und Schwebetransportern wie auf einem Raumschiff von H.R. Giger, in dessen Schlund nach etwas Rätselei und waghalsiger Kletterei auch meist ein Bosskampf in einer Arena wartet. Gerade diese von der offenen Welt abgeschotteten Erlebnisse sorgen für Spannung, zumal die Heldin diese Dungeons mit mehr Erkenntnissen über die Maschinenwesen verlässt - sie kann immer mehr von ihnen überbrücken und reiten.


Maschinenzoologie


Diese robotischen Tierwesen sind die fremdartigen Stars dieses Abenteuers, die besondere Betrachtung verdienen. Zum einen sehen sie mit ihren synthetischen Muskeln und elegant verzahnten Körperteilen verdammt cool aus. Sie sorgen mit ihrer futuristischen Präsenz dafür, dass die Landschaft mehr ist als ein botanischer Garten: Sie lauern mit blau glimmenden Laseraugen in der Ferne, zeigen vielerlei Gestalt vom eleganten Raubvogel bis zum mächtigen Mammut. Es gibt fast 50 Arten, die in Kategorien wie Aufklärer, Beobachter, Transporter, Beschaffer oder Kämpfer eingeteilt sind.


Das Tauchen bereichert das Spielerlebnis.

Und sie verhalten sich erstaunlich vielfältig: Guerrilla hat nicht nur dafür gesorgt, dass sie klasse animiert sind und im Kampf je nach Verlauf anders reagieren, also bei starker Verwundung eher vorwärts zu stürmen oder aus der Distanz einen lähmenden Schallimpuls zu senden. Gab es im Vorgänger nur recht lineare Aktionen, kann man jetzt auch in kleineren Kämpfen böse überrascht werden. Auf dem normalen Schwierigkeitsgrad wird man sehr schnell von ihnen besiegt, wenn man einfach plump draufhaut.

Hinzu kommt, dass sie auch in den Phasen vor dem Kampf faszinieren, denn man kann mehr natürliche Verhaltensweisen beobachten, die ihren tierischen Vorbildern entsprechen. Das fängt beim einfachen Grasen, der Rudelbildung oder beim Aufrichten auf den Hinterpfoten an, wenn sie etwas wittern bzw. scannen. Manche wie die Krallenschreiter pirschen dann langsam heran wie Raubkatzen, andere alarmieren erst ihre Artgenossen.


Immer wieder locken Seen mit ihren Geheimnissen.

Überhaupt sind die Reichweiten dieser Ortung je nach Maschinenwesen ganz anders - Flieger erspähen einen sehr viel früher. Versteckt man sich im Gras ganz in der Nähe eines Breitschlunds, der in seinem See herum döst und macht ein Geräusch, stampft es wie ein Nilpferd heran, schwenkt suchend den riesigen Kopf, stößt hinter den Ohren rote Fontänen aus und schnauft nur eine Hand breit vor einem. Das sind tolle Momente, in denen man fast kleine zoologische Studien anstellen könnte.

Alle Maschinenwesen werden in den Notizen dokumentiert.

Dann wären da noch die riesigen Maschinenwesen, die friedlich wie die Langhälse durch die Wildnis wandern: Diese lebenden Wolkenkratzer kann man wie im Vorgänger erklimmen, indem man sich von einem sehr hohen Gebäude oder Felsen auf sie hinab gleiten lässt. Hier entsteht ähnlich wie in Shadow of the Colossus das Gefühl, auf einem bewegten Level im Level unterwegs zu sein. Von hier aus kann man einen großen Bereich der Landschaft scannen und so aus dem Nebel der Karte heraus sichtbar machen. Neben diesen erhabenen Momenten gibt es natürlich auch das totale Chaos in XXL, wenn man gegen riesige Kobramaschinen in einer Arena kämpft, dabei ihrem Gift und ihren Fangzähnen ausweichen muss - obwohl man sie angesichts ihres genialen Designs und ihrer monumentalen Präsenz erstmal nur wie ein Kaninchen anstarren kann. (Das war der zweite Teil der Rezension. Im dritten und letzten Teil geht es um Kampf und KI, Rollenspiel, Quests sowie Charakterentwicklung.) (Bilder: Horizon Forbidden West, PS5, eigene Screenshots)

20 Comments


Daniel
Daniel
Feb 22, 2022

Kann man eigentlich die Ansicht der Maschinen im Menü endlich drehen und zoomen, um die Schwachpunkte genauer zu analysieren? Das hat mir im ersten Teil immer gefehlt.

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Manuel
Manuel
Feb 17, 2022

gerade von der Arbeit nach Hause gekommen, lag das Spiel im Briefkasten.

Ich bin gehypt und freue mich sehr.

Ebenso auf Teil 3 von Jörgs Rezension.


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Wolfgang G
Wolfgang G
Feb 17, 2022

Vielen Dank für diese plastische Darstellung der Welt, die sehr viel Lust aufs Erkunden und Eintauchen (in beiderlei Bedeutung) macht! Hoffentlich gelingt es dem Spiel auch durch diese spürbare Umwelt besser als anderen "offenen Welten", dass sich die einzelnen Elemente nicht irgendwann wie ein Abarbeiten anfühlen.

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Jörg Luibl
Jörg Luibl
Feb 17, 2022
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Letztlich ist das Spieldesign in vielen Bereichen genau so ausgelegt, genau so symbolgenerisch, wie in anderen offenen Welten. Aus dem Korsett kommt HFW nicht heraus. Aber dem Gefühl des "Abarbeitens" kann man entgegen wirken, indem man z.B. nur Haupt- und einige Nebenquests macht.;)

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Andy
Andy
Feb 17, 2022

Danke für den äusserst tollen 2. Teil deiner Rezension. Die Screenshots sehen wirklich fantastisch aus. Grafik ist nicht alles, aber es macht halt schon wahnsinnig viel Spass in einer solch detailliert ausgearbeiteten Welt herumzustrolchen. Die Vorfreude steigt mit jedem Bericht mehr.

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Vlad der Graue
Vlad der Graue
Feb 16, 2022

Sehr schön ausformuliert (quod erat expectandum). Liest/hört sich jetzt schon wie eine Laudatio. Leider ist das Spiel nichts für mich. War schon beim ersten Teil nach kurzer Spielzeit raus. Holt mich nicht ab, fesselt nicht. Bin anders.

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Olaf
Olaf
Feb 22, 2022
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Lange langweilige Pflichtprologe und Tutorials sind ein Kreuz.

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