Es knistert und körnt in Trek To Yomi. Es ist fast so, als würde man eine alte Filmrolle in einen Projektor legen, um in die Vergangenheit von Schwarz und Weiß zu reisen. Die Schriftzeichen und die Klänge des Shamisen deuten schon auf das alte Japan. Wenn man dann im Dojo den Schwertkampf übt, betritt man nicht nur die Bühne eines Samurai-, sondern auch die eines Regie-Meisters.
Der bewegte Wald
Ich weiß nicht mehr, wie alt ich war, als ich den ersten Film von Akira Kurosawa (1910 - 1998) sah. Mit Sicherheit war ich zu jung und wollte eigentlich einen Bruce-Lee-Film gucken, als ich irgendwann in den 80ern mal wieder zum Babysitting engagiert war. Jedenfalls blätterte ich durch die VHS-Mappe meines Onkels, in der zu jedem Film der Titel, das Cover oder ein Bild mit einer kurzen Beschreibung eingeklebt war. Bei einem sah man eine recht brutale Kampfszene: einen schreienden, von Pfeilen durchsiebten Mann. Daneben stand etwas wie Samurai-Krieg.
Tja, das hat ausgereicht, um mich anzulocken und die Kassette in den Schacht zu schieben. Damals kannte ich weder den Regisseur noch wusste ich, dass da Shakespeares Macbeth für einen Film namens „Das Schloss im Spinnwebwald“ Pate stand. Man konnte auch nicht mal schnell googeln. Aber was sich bis heute eingebrannt hat, ist die Präsenz der Charaktere, die urtümliche Wirkung von Schwarzweiß und vor allem diese Szene, in der sich ein ganzer Wald plötzlich auf eine Festung bewegt - das war cool, aber auch verdammt unheimlich.
Im Schatten von Kurosawa
Auch die Darstellung der Gewalt, diese Kampfschreie und dieses schnelle Töten mit dem Katana wirkte eindringlicher und gnadenloser als in den westlichen Mantel&Degen-Filmen, die damals im Fernsehen liefen. Da war dieses blutige Zwielicht, dieser theatralische Nebel des Grauens. Statt der Gewissheit eines heroischen Sieges wartete hier nach der Gewalt eine düstere Konsequenz. Wenn ich Trek To Yomi spiele, fühle ich mich ein wenig an diese Stimmung erinnert. Zwar sind Drehbuch und Charaktere in diesem Spiel viel einfacher gestrickt, aber auch hier führt der Heldenmut zunächst in den Abgrund.
Einerseits ist es natürlich logisch, dass Kurosawa als Vorbild grüßen lässt, denn die Polen von Flying Wild Hog haben sich ja unter der kreativen Leitung von Leonard Menchiari an seinen Filmen orientiert. Dabei gilt „Die Sieben Samurai“ als sein berühmtestes Werk, das auch westliche Regisseure stark beeinflusste. Andererseits ist es nicht selbstverständlich, dass das Nachahmen im Spiel auch funktioniert, zumal Menchiari mit dem Remaster The Eternal Castle (2019) oder RIOT: Civil Unrest (2017) eher zwischen gurkig und experimentell einzuordnen war. Aber Trek To Yomi ist eindeutig sein bestes Spiel - vor allem hinsichtlich der Inszenierung.
Eine Kamera, viele Perspektiven
Worum geht es? Ein Dorf wird von Banditen überfallen, ein tapferer Junge namens Hiroki will helfen, aber muss mit ansehen wie sein Meister stirbt. Die Ereignisse überschlagen sich, etwas Zeit zieht ins Land, er reift zum Samurai, aber dann holt ihn die Vergangenheit wieder ein, als er seine Rache über das Wohl der Bewohner stellt - die alle sterben, darunter auch seine Liebe. Als Spieler schlüpft man für fünf bis sieben Stunden in die Rolle eines Kriegers, der über mehrere Kapitel von der Kindheit und der Welt der Lebenden in jene der Toten reist. Es gibt keine offenen Dialoge, man kann nur zuhören, allerdings darf man auch etwas entscheiden: Zieht man zum Schutz der Lebenden, aus eitler Rache oder aus Liebe los?
All das wird in japanischer Sprache mit deutschen Untertiteln erzählt. Dabei gelingt es der Regie von der ersten Minute an, mich in einen alten Film zu katapultieren - ohne dass mir nach zwei, drei Szenen langweilig wird. Und zwar deshalb, weil es trotz der Beschränkung auf 2D nicht nur um links und rechts geht, wie in den meisten Kampf-Plattformern. Das Besondere sind die gekonnten Perspektivenwechsel, die den Helden in die Tiefe des Bildes laufen lassen, die die Kamera hinter seinen Rücken oder in einer Nische platzieren. Mal beobachtet man alles aus der Distanz und wirkt klein, dann betritt man einen Raum und steht plötzlich als großer Samurai im Fokus.
Geheime Wege und Schätze
Obwohl es nur zwei Ebenen gibt, spielt die Regie sehr gut damit, lässt auch den Hintergrund über Wälder und Gebäude lebendig wirken. Man fühlt sich ein wenig an eine Aufführung in einem Theater erinnert, dessen Bühnenbild ständig mit Treppen, Geheimgängen und Nischen für die Illusion einer offenen Welt sorgt, die nicht einem linearen Pfad folgt. Architektur und Mode des alten Japan wurden gut recherchiert, aber auch die Musik hat großen Anteil an der Atmosphäre, denn man hört von der Bambusflöte über die Taiko-Trommel bis zum Shamisen-Banjo einige traditionelle Instrumente. Es lohnt sich jedenfalls, die Boxen aufzudrehen, zumal der Wind pfeift, Feuer knistern oder ein liebliches Klingeln den Standort eines Schreins verrät.
Auf Grundlage der Unreal Engine 4 sorgen Nebel, Wind und Regen, Feuer, Licht und Schatten dafür, dass eine Szene in einem Dorf apokalyptisch und eine andere im Wald geisterhaft wirken kann. Spätestens wenn man das Reich der Toten betritt, sorgen unheimliche und übernatürliche Elemente für visuelle Abwechslung - Monster lauern in Sümpfen, Häuser schweben magisch in der Luft getragen und wie von Geisterhand bilden sich Brücken unter den Füßen des Helden. Sehr schön ist, dass man ohne plumpe Hinweise in Ecken, auf Leitern oder hinter Häusern geheime Wege entdecken kann, an deren Ende kleine Schätze oder Schreine warten, die das Leben auffüllen und als Speicherpunkte dienen.
Artefakte, Ausdauer und Leben
So lohnt es sich, genauer nach Abzweigungen zu suchen, die auch zu historischen Artefakte führen. Einerseits ist es lobenswert, dass man über diese Funde mehr über die japanische Mythologie erfährt, über die Kami und Götter wie Izanami und Izanagi, die die Welt erschufen - und deren Schicksal sich ja auch in der Story des Spiels spiegelt, denn auch hier folgt man einer Frau in den Abgrund. Schließlich steckt im Titel wortwörtlich die japanische Unterwelt, die man als Samurai besucht: Yomi.
Andererseits hätte man diese Schätze, gerade die Zeichnungen und Figuren, auf einen Klick vergrößert darstellen müssen - so wirken sie leider wie minimalistisches Beiwerk, das man nicht wirklich studieren kann. Aber wer sucht, der findet nicht nur diese Fragmente, sondern auch nützliche Munition und vor allem permanente Boni, die die Lebenskraft sowie die Ausdauer stärken. Das Stöbern in Ecken ist also spielerisch sinnvoll, zumal man schon auf dem normalen der drei Schwierigkeitsgrade froh ist, wenn man mehr einstecken und länger austeilen kann.
Anspruchsvolles Hack’n Slay
Das Kampfsystem simuliert zwar keinen Schwertkampf wie etwa ein Kengo, aber es beruht auf mehr als Buttonmashing: Was zu Beginn wie simples Schlitzen anmutet, entwickelt sich zu einem anspruchsvollen Hack’n Slay mit Block, Konter und Stellungswechseln. Die feinen Animationen und die Schreie sorgen für ebenso elegantes wie martialisches Flair: Wenn man die Position mit einem Feind wie ein Tänzer tauscht, um sein Katana dann in seinen Rücken sausen zu lassen, macht das richtig Spaß.
Zu Beginn gibt es nur einfache Kombos mit zwei Hieben, aber es kommen weitere hinzu, die drei oder vier Eingaben plus Richtung erfordern. Letztlich geht es in diesem 2D-Kampf immer um Abstände und schnelle Reaktionen. Man kann sich recht simpel durch einfache Gegner schlitzen und problemlos mit den immer gleichen Manövern vorwärts kommen. Gegen gepanzerte Feinde, bessere Samurai, Geistwesen oder Bosse sind jedoch Paraden und Block brechende Hiebe gefragt. Vor allem in Unterzahl kommt man ohne diese nicht schnell genug vorwärts: wer nur passiv blockt und simpel draufhaut, wird erst seine Ausdauer und dann sein Leben verlieren.
Über die Vorwärtsrolle plus Hieb sowie leichte und schwere Schläge in Verbindung mit coolen Richtungswechseln gibt es einige taktische Variationen. Für Schaden aus der Distanz sorgen neben den Wurfmessern auch der Langbogen sowie die schwere Büchse, die sogar durch Rüstungen donnert und Feinde mit einem Schuss erledigt. Der Anspruch scheint zu Beginn auf normaler Stufe etwas zu niedrig, zumal man nach fast jedem längeren Kampf Schreine zum Speichern findet. Aber je tiefer man in die Unterwelt kommt, desto kniffliger wird es, desto häufiger wird man umzingelt und desto weiter sind die Schreine entfernt.
Drei Schwierigkeitsgrade, wenig Abwechslung
Auf der schweren Stufe hatte ich das Gefühl, fast perfekt agieren zu müssen und letztlich zu viel Trial&Error, als dass es noch Spaß gemacht hätte. Die hier noch wichtigeren Paraden hätten eindeutiger inszeniert werden müssen, damit ein besserer Spielfluss bis zum Finisher entsteht - manchmal wirken die Übergänge etwas abgehackt.
Die spielerische Abwechslung hält sich im Vergleich zu einem Onimusha in Grenzen: Ab und zu darf man Hindernisse verschieben, Bäume oder Dämme zum Einsturz bringen. Es gibt nur sehr einfache Rätsel, wenn man z.B. japanische Schriftzeichen in eine offensichtliche Reihenfolge bringen soll, und keinerlei Plattformherausforderungen. Trek To Yomi ist letztlich ein auf Kampf und Kulisse fokussiertes Abenteuer, kein vielseitiges Action-Adventure.
FAZIT
Devolver Digital liefert: Letztes Jahr haben es Inscryption und Death's Door in meine Liste der neun besten Spiele 2021 geschafft. Und Trek To Yomi würde aktuell auch darin landen - wobei man sagen muss, dass das Jahr noch jung ist. Aber selbst wenn dieses Samurai-Abenteuer letztlich „nur“ gutes Niveau erreicht, weil es spielerisch etwas einseitig ist, fühlte ich mich auf dem Weg ins Reich der Toten auf stimmungsvolle Art unterhalten. Es knistert und körnt, als würde da eine alte Filmrolle in der PlayStation arbeiten. Mir gefällt die Schwarz-Weiß-Inszenierung mit ihren tollen Kamerawechseln und lebendigen Kulissen, zumal die Regie zumindest an der Oberfläche an den Stil der Filme von Akira Kurosawa anknüpfen kann - man merkt in jeder Szene sowie hinsichtlich der mythologischen Bezüge, wie viel Arbeit und Recherche darin steckt. Bei der Präsentation der Artefakte sowie dem Rätseldesign war zwar noch Luft nach oben. Aber Trek To Yomi inszeniert über fünf bis sieben Stunden kein simples Buttonmashing, sondern ein anspruchsvolles Hack’n Slay mit übernatürlichem Flair.
(Bilder: Trek To Yomi, PS5, eigene Aufnahmen)
Habe nun am letzten Wochenende Trek to Yomi (auf dem einfachsten Schwierigkeitsgrad) durchgespielt. Präsentation und Stil haben mir sehr gefallen. Das Gameplay hingegen war mit der Zeit etwas öde, was aber sicher auch damit zu tun hat, dass ich auf dem einfachsten Schwierigkeitsgrad spielte. Darum kam für mich die eher etwas kurze Spielzeit gerade richtig. Mit ein bisschen mehr Umgebungsinteraktion und knackigeren Rätsel, hätte das durchaus ein kleiner Hit werden können. Behalte das Spiel dennoch in guter Erinnerung.
Ich habe es die Tage an zwei Abenden als Snack gespielt. Die Grafik, das Artdesign, die Kameraheimstellungen haben mich bei der Stange gehalten. Die Story hätte ich mit dem Kind besser gefunden als mit dem Zeitsprung. Der Kampf war auf Bushido viel zu leicht, auf Ronin besser aber auch irgendwie nerviger, weil nicht geschmeidig genug bzw ich den Eindruck hatte, die Aktionen wurden nicht so richtig nach meinen Tasteneingaben ausgeführt bzw in der Schnelle der Zeit.
Also alles in allem bietet dieser Stil und das Thema noch unheimlich viel Potential. Grafisch allerdings war das eine Bombe, und hat mir besser gefallen als der Kurosawa Modus in Tsushima.
Super Test.
Ich bin dem Kampfsystem gegenüber deutlich kritischer - mir gefällt's nicht. Man pariert sich halt so durch.
Aber: die Kulissen sind sensationell. Allein dafür lohnt sich das Game
Danke für die Rezension und die passende Erkundung dazu.
Yomi klingt gesprochen mal gar nicht nach Unterwelt... mehr wie ein Gummiball. So kann man sich täuschen :)
Ist der Knaller! (wie Dom Schott sagen würde! 😁) Als Kurosawa-Fan und All-Things-Japanese-Genießer ein absoluter Hingucker. Das zackige Schnetzeln wie in den Filmen macht richtig Laune; auch wenn es ein bisschen repetitiv zu sein scheint. Aber das Spiel zeigt einem schnell, es kommt auf den Augenblick an. Und wenn das Spielprinzip langweilt, ergötzt man sich einfach am bildlich Dargebotenen. Eine Augenweide! Da will man gleich wieder in Filmen wie Sanjuro, Yojimbo und Ähnlichem versinken wie beim ersten Schauen derselben. Danke für die Rezension! Hätte ich glatt verpasst das Spiel!
PS: Falls noch nicht geschehen, möchte ich den Film "Sword of Doom" empfehlen, der zwar nicht von Kurosawa ist und eine ganz ähnliche aber etwas sinisterere Stimmung zu entfalten weiss. Die…