top of page
AutorenbildJörg Luibl

Social Science Fiction, Asimov & Citizen Sleeper 2

Als kleinen Nachtrag zum Gespräch mit Christian Endres über die Social Science Fiction möchte ich auf Citizen Sleeper 2: Starward Vector aufmerksam machen, das dieses Jahr erscheinen wird. Noch gibt es keinen konkreten Termin, aber es dürfte nicht mehr all zu lange dauern:



Der Vorgänger, mittlerweile für PC und alle Konsolen erhältlich (noch nicht auf Deutsch), war eines meiner Spiele des Jahres 2022. Darin interpretiert Gareth Damian Martin den Cyberpunk deutlich markanter und politischer als etwa das Katzen-Abenteuer Stray, in einer futuristischen Welt der Macht und Ausbeutung; allerdings auf spielerisch abstrakte Art wie in einem Tabletop. Man agiert, fast wie in einem Brettspiel, über den taktischen Einsatz von Würfeln, während man in vielen tollen Dialogen relevante Entscheidungen treffen muss und auf überraschend menschliche Schicksale trifft.


Ähnlich wie das im Podcast erwähnte Rollenspiel Colony Ship erfüllt auch dieses digitale Abenteuer alle Voraussetzungen der Social Science Fiction, in der eine zukünftige Gesellschaft im Mittelpunkt steht. So wie etwa in Die Zeitmaschine von H.G. Wells oder dem Hainish-Zyklus von Urusla K. Le Guin, aber auch in aktuelleren Romanen wie Die Maschinen oder Tagebuch eines Killerbots; mehr Lesetipps gibt es hier.


Die Social Science Fiction ist ein literarisches Subgenre, das mal von Isaac Asimov definiert wurde. 1953 veröffentlichte er in der Zeitschrift Modern Science Fiction von Reginald Bretnor einen Artikel mit dem gleichnamigen Titel. Darin erläutert er, dass jede Handlung in eine von drei Kategorien fallen würde: Gadget, Adventure oder Social.


"Sozial: Der Schwerpunkt der Geschichte liegt darauf, wie sich die Erfindung auf das tägliche Leben der Menschen auswirkt, ob zum Guten oder zum Schlechten. Der Hauptunterschied zwischen dieser und den beiden anderen Arten ist, dass die Anwesenheit der Erfindung die Handlung beeinflusst, anstatt sie zu verursachen oder das Ziel zu sein."


Anhand der Erfindung des Autos, das in der Geschichte von Autor X erfunden sowie in allen Einzelheiten beschrieben wird (=Gadget) und in jener von Autor Y von Schurken gestohlen wird (=Adventure), beschreibt er die Handlung mit sozialem Fokus:


"Autor Z hat das Automobil bereits perfektioniert. Es existiert eine Gesellschaft, in der es bereits ein Problem ist. Dank des Automobils ist eine gigantische Ölindustrie entstanden, Autobahnen wurden im ganzen Land asphaltiert, Amerika ist zu einem Land der Reisenden geworden, die Städte haben sich in die Vorstädte ausgedehnt - und was tun wir gegen Autounfälle? Männer, Frauen und Kinder werden von Autos schneller getötet als von Artilleriegeschossen oder Fliegerbomben. Was kann getan werden? Was ist die Lösung? Das ist Social Science Fiction."


Heutzutage fließen die drei Elemente Gadget, Adventure und Social viel häufiger ineinander, als es in der Zeit der Pulp-Magazine und frühen Science-Fiction der Fall war, als Erstere dominierten und meist recht ähnliche Geschichten rund um eine spektakuläre Erfindung oder einen Helden im Weltraum hervorbrachten.


Neben naturwissenschaftlichen beeinflussten bald immer mehr sozialwissenschaftliche Thesen die Science Fiction, so dass die Geschichten rund um zukünftige Gesellschaften komplexer wurden - ein Paradebeispiel ist auch Dune von Frank Herbert, das 13 Jahre nach der Defintion von Asimov erschien.


In Citizen Sleeper 2 schlüpft man übrigens erneut in die Rolle eines rebellischen Androiden, der eigentlich einem Konzern gehört. Aber diesmal muss man sich nicht auf einer Raumstation durchschlagen, sondern wird per Kopfgeld gesucht, muss mit einem Raumschiff fliehen und braucht dringend eine Crew, während rund um das Helium-System die Folgen eines Konzernkriegs spürbar werden.


PS: Falls ihr eher Lust auf Social Fantasy habt, empfehle ich das illustrierte Text-Rollenspiel Roadwarden, das zu den erzählerisch besten Abenteuern der letzten Jahre gehört und ähnlich dichte sowie menschliche Situationen darstellt wie Citizen Sleeper.


Vielen Dank an alle Steady-Unterstützer, die dieses kleine Spiele-Magazin mit ihrem Abo möglich machen. Es würde mich freuen, wenn ihr auch an Bord kommt!

6 Comments


Sven
Sven
Jan 23

Roadwarden habe ich auf meine Wishlist gepackt. Danke für den Tipp, sieht auch gut aus. Gibt es leider nicht für Switch. Und ich muss sagen Citizen Sleeper ist perfekt für die Switch. Teil 2 ist noch nicht für Switch angekündigt. Kann man aber wohl durchaus für wahrscheinlich halten...

Like

bronto
bronto
Jan 22

Zu Roadwarden kann ich noch nichts sagen, aber Citizen S habe ich ausführlich gespielt. Und ja, es ist ein sehr gutes Visual Novel.

Das Setting ist durchdacht und auch einige aktuelle Ereignisse wie die Flüchtlingsbewegungen wurden sinnvoll und gekonnt in die (DLC-)Geschichte miteingeflochten. Interessant und melancholisch zugleich immer wieder die Fragestellung, ob man bei Möglichkeit in den weiten Weltraum reisen oder doch auf der vertrauten, Donut-förmigen Raumstation bleiben soll.

Leider macht die ganze Würfelmechanik nur auf den ersten Blick Sinn, denn man hat genügend Zeit um alle Ziele bzw. Austiegsszenarien zu erreichen. Somit langt ein Durchgang aus um alle Handlungsstränge zu durchlaufen, da es meiner Erinnerung nach keine alternativen Routen gibt.


Das Vorhaben mit den zweiten Teil an die Atmosphäre…

Edited
Like

Citizen Sleeper 2 dürfte bei mir ein Day One Kauf werden. Meine Begeisterung aus dem Forum (Was spielt ihr gerade?) werde ich aber nicht wiederkäuen.

Like
Sven
Sven
Jan 22
Replying to

Auf jeden Fall Day One Kauf. Allein der Trailer ist vom Artdesign und den minimalistischen Animationen sooo gut!

Like

Sven
Sven
Jan 22

Nice! Ergänzend vielleicht noch zwei Verweise für Interessierte:

  1. Stieß gestern aus Begeisterung zu Citizen Sleeper auf dieses spannende, sehr kurzweilige Panel des Developers Gareth Damian Martin. https://www.youtube.com/watch?v=r2b_M4a8SoQ Darin bezieht er sich u.a. auf seine Inspiration zum Spiel (Spielwelt und -systeme): Bedeutung von Neoliberalismus und Prekariat und daraus ergeben sich individueller Handlungs-/Überlebensdruck, der auch ein Motto von Citizen Sleeper ist und sich auch auf seine Designphilosophie auswirkt: dem Minimum Viable Design.

  2. Nur kurzer Gedanke noch zu der o.g. dreiteiligen Konstellation: Von Wissenschaft (Erfindung), zu Wachstum und daraus entstehenden neuen, großen Problemen, die wiederum neue, noch nicht erfundene Lösungen erfordert (Klimawandel als naheliegendes, dominierendes Dilemma). Darüber las ich vor paar Jahren von einer Studie des Club of Rome, die eben diese Konstellation…

Edited
Like
Replying to

Ah, danke für die weiteren Bezüge. In einer ähnlichen Spannung zwischen Skepsis und Hoffnung wird ja auch in The Talos Principle 2 diskutiert.

Like
bottom of page