Vielleicht sind Videospiele die größten Sinnestäuscher, wie anno dazumal Harry Houdini (1874-1926) oder John Nevil Maskelyne (1839-1917). Sie vollbringen ihre Tricks aus eigener digitaler Kraft, aber haben im Laufe der Zeit sehr viel von der Kunst der Filmemacher gelernt. Ohne ein Verständnis für Kamera und Musik, für Blickwinkel und Ästhetik, wäre einer der großartigsten Momente der jüngeren Videospielgeschichte nicht entstanden: die Titelsequenz von Ghost of Tsushima aus dem Jahr 2020.
Man reitet bei epischen Klängen durch ein schattiges Waldstück und darf lediglich die Kamera bewegen, während man vom Licht hinter einem Hügel angelockt wird. Die Musik schwillt an, als man ihn überwindet und durch ein weißes Meer aus Pampasgras reitet, aus dem ein Schwarm Vögel frei zum Himmel auffliegt. Parallel zum Galopp werden die Akkorde angetrieben, die Wiese wogt wild hin und her, SUCKER PUNCH PRESENTS wird eingeblendet, Jin beugt sich hinab und streicht mit einer Hand fast liebevoll über die Blüten.
Erst als er den Weg erreicht, als sich Musik und Wind beruhigen und man nur noch eine leise japanische Flöte hört, überlässt die Regie dem Spieler die Führung. Nach dieser magischen Führung darf man also seine eigenen Zaubertricks vollführen. Man fühlt sich fast so, als hätte ein großer Künstler gerade seine Pinsel und seine Instrumente übergeben, die man dann tatsächlich, wie von Geisterhand geführt, für ein eigenes Samurai-Abenteuer benutzen kann - das eigene Wohnzimmer wird zur Showbühne.
Apropos: Die japanischen Krieger und die Tricks der Illusionisten treffen sich bald noch konkreter in The Spirit of the Samurai (PC, PS5, XBS), einem hoch interessanten Kampf-Plattformer von Digital Mind Games. Er sollte Ende des Jahres erscheinen, aber wurde wohl auf 2024 verschoben, deshalb fehlte er in der Vorschau der Videospiele für Dezember. Aber das Spiel macht mich schon länger neugierig. Nicht nur weil man dort als Samurai namens Takeshi auf Wesen der japanischen Mythologie trifft, also auf Oni und Tengu, sondern vor allem aufgrund der Inszenierung.
Denn innerhalb der stimmungvsoll düsteren Areale verwenden die spanischen Entwickler genau jene Stop-Motion-Technik, die der Illusionist Georges Méliès (1861-1938) erfunden hat. Und ganz nebenbei hat er 1902 auch den ersten Science-Fiction-Film Die Reise zum Mond auf Grundlage von Jules Vernes' berühmten Roman gedreht. Aber zurück zur Technik, die Bewegungen stückweise animiert zeigt und die sich im Verlauf der Jahrzehnte, auch dank Hollywood, ständig weiter entwickelte, bis die vollständige Computeranimation das Ruder übernahm.
Die Spanier orientieren sich am Stil von Ray Harryhausen (1920-2013), der in Filmen wie Jason und die Argonauten (1963) oder Sindbads gefährliche Abenteuer (1973) auf beeindruckende Art Zyklopen, Skelette, Zentauren oder die sechsarmige Göttin Hydra zum Leben erweckte. Im Trailer des Samurai-Abenteuers fühlt man sich ein wenig an diese alten Abenteuerfilme erinnert. Aber keine Bange, die Hiebe und Bewegungen des Spiels laufen flüssig ab, während manche Monster stückweise voran schreiten, was sie fast noch ein wenig unheimlicher macht.
Ich freue mich jedenfalls auf dieses Samurai-Spiel, in dem man den Yokai sowie Untoten nicht nur als Takeshi mit Schwert, Speer und Bogen entgegen tritt, sondern auch in der Rolle eines Geistwesens namens Kodama (die gibt es auch im Brettspiel Bitoku) und in jener der Katze Chisai. Es wird eine Mischung aus Kampf und Akrobatik, es gibt Magie, man kann Fähigkeiten sowie eigene Kombos entwickeln und das labyrinthische Leveldesign soll sich an nicht linearen Metroidvanias orientieren. Ich hoffe, dass die Entwicklung gut voranschreitet, denn das Spiel warb schon im November 2020 auf Kickstarter um Unterstützung - damals sollte es nur für PC und Atari VCS erscheinen. Allerdings wurde die Kampagne irgendwann eingestellt und der britische Publisher Kwalee kam an Bord.
Zwar hat der seit 2012 mit mobilen Spielen seinen Erfolg begründet, aber seit 2020 veröffentlicht Kwalee PC- und Konsolenspiele, darunter auch Die by the Blade (PC, PS4/5, XBS, SW), das ebenfalls auf Kickstarter begann. Auch wenn das in einer Verschmelzung aus altem Japan und neonfarbenem Cyberpunk spielt, und mich nicht ganz so neugierig macht, ist das vielleicht ein weiterer Tipp für Samurai-Fans. Hier geht es um das direkte Duell und den schnellen Tod auf einen Streich. Es gibt eine Demo der 1-vs-1-Kämpfe auf Steam; das Spiel sollte eigentlich noch dieses Jahr erscheinen.
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Die Kodama habe ich schon in Nioh gern entdeckt und gesammelt. In Ghibli-Filmen gab es sie auch ab und zu. Sie sind Yurei oder Kami und können laut japanischer Folklore nur von denen gesehen werden, die reinen Herzens sind. So ähnlich wie mit den Einhörnern. ;) Auf The Spirit of the Samurai freu ich mich auch schon.
'The Spirit of the Samurai' sieht cool aus.
Ich bin immer wieder erstaunt, was Kreativköpfe alles an Altem und Neuem in Szene setzen können.
Auch wenn Spiele heutzutage fast schon "fotorealistisch" aussehen und manchmal sogar "schöner als die Realität", kommt es mir vor als sei man immer noch in den Kinderschuhen bzw. dass noch viel mehr technisch möglich ist.
Nicht nur im Sinn einer schöneren Grafik, sondern inhaltlich und "kommunikativ". Z.B. wirken die NPCs immer noch künstlich und die Städte meist "leer", die Dialoge sind schnell ausgeschöpft, etc.. Und auf der anderen Seite gibt es immer wieder neue Konzepte, die "reduzierte Technik" innovativ vorantreiben, z.B. Cocoon, oder anreichern wie bei Spirit of the Samurai.
Da fällt mir ein, dass ich…
Beim Samurai-Setting bin ich grundsätzlich immer erst mal neugierig. Obwohl mir Trek to Yomi letztens beim Durchspielen sehr gut gefallen hatte, fühle ich mich im 3D-Kampf wohler. Daher werde ich bei The Spirit of the Samurai vorerst abwarten. Positiv hervorheben möchte ich die Stop-Motion-Animationen. Diese haben mich schon bei diversen Visual Novels oder As Dusk Falls mehr als überzeugt und sie nun in einem Kampfgeschehen zu nutzen empfinde ich als faszinierenden Schritt, der hoffentlich super gelingt.
Ich hatte damals zu PS2 Zeiten sehr gerne Onimusha gespielt, und ich halte die Reihe in sehr guter Erinnerung. Auch Ghost of Tsushima fand ich in quasi jeder Hinsicht mindestens gut - abgesehen von einigen Wiederholungen im Gameplay die sich im späteren Verlauf etwas aufzwängen.
Trek to Yomi hingegen, konnte mich leider überhaupt nicht abholen, so dass es für mich mal wieder Zeit wird für ein gelungenes Samurai-Abenteuer. Besonders Spirit of the Samurai sieht interessant aus, finde ich.