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AutorenbildJörg Luibl

Weird Tales: Das Magazin, das niemals stirbt...

Über die Feiertage habe ich es genossen, mein Smartphone zu ignorieren und zu lesen. Dafür hatte ich mir zwei Comics aufgespart: den ersten Band Reckless von Ed Brubaker und Sean Phillips. Das ist ein Thriller rund um einen kalifornischen Privatdetektiv in den 80ern - toll geschrieben, gezeichnet und koloriert, wie man es von diesem Team fast schon erwartet.


Weird Tales (Vol.1, Nr.1), 1923, gemeinfrei.

Und dann The Silver Coin, den ersten Teil einer Horror-Sammlung, die ich hier auf Spielvertiefung mal kurz vorgestellt hatte. Ihr erinnert euch, der Junge an der Arcade? Seine Story "High Score" war zwar noch nicht enthalten (kommt erst in Volume 6), aber ich hatte jetzt schon meinen Spaß mit den blutigen Geschichten rund um die verfluchte Münze. Vielleicht stell ich die Serie bald mal vor.


Jedenfalls hat mich das Schmökern darin wieder auf einen alten Verwandten der Comics gebracht: auf Weird Tales. Auch in diesem berühmten Pulp-Magazin (benannt nach dem holzhaltigen Papier "wood pulp") ging es ja um Horror, Fantasy und Science-Fiction, ein bisschen ähnlich wie hier auf Spielvertiefung.


Ich werde zukünftig öfter mal auf spezielle Ausgaben dieses oder anderer Magazine wie Amazing Stories oder Argosy zurückblicken - vielleicht nur auf Cover oder einzelne Autoren wie Robert E. Howard (Conan), Clark Ashton Smith (Des Magiers Wiederkehr) oder Edmond Hamilton (Captain Future).


Jacob Clark Henneberger (1890-1969).

Letztlich sind die darin veröffentlichten Geschichten bis heute eine Inspirationsquelle für so viel Literatur, TV-Serien, Filme und natürlich Spiele. Allerdings ging es Weird Tales nach dem Start im Februar 1923 nicht gerade blendend.


Das von Jacob Clark Henneberger und J.M. Lansinger gegründete Magazin hatte in den so genannten "Goldenen 20ern" ganz schön zu kämpfen - das Unheimliche und Seltsame verkrochen sich noch in einer literarischen Nische, das Heft galt im Vergleich zu Büchern als billig oder sogar als Schund und geriet in finanzielle Schwierigkeiten.


Eine Sammlung der 13 besten Geschichten von 1923 gibt es - wie nahezu alles - leider nur auf Englisch: The Best of Weird Tales. Wenn man diese ausgewählten Texte des Premierenjahres heute liest, fällt allerdings tatsächlich so einiges weit ab, was die erzählerische Qualität betrifft.


Aber unter ihnen gibt es einige frühe Schätze wie etwa die unterhaltsame Gruselgeschichte "Beyond the Door" von J. Paul Suter. Sie verwies schon in eine thematische Richtung, die Henneberger, als großem Freund von E.A. Poe, sehr gefiel. Also ließ er nicht locker und konzentrierte die Inhalte auf Horror im weitesten Sinne.


Weird Tales (Vol. 2, Nr. 3), 1923, mit "Dagon" von H.P. Lovecraft, gemeinfrei.

So kam es schließlich zum Kontakt mit H.P. Lovecraft, der ihm einige seiner Geschichten zusandte und einige Briefe austauschte. Hier mal die Einleitung eines Briefes aus dem Jahr 1924, die u.a. Lovecrafts Verständnis für die wirtschaftliche Situation zeigt:

"My dear Mr. Henneberger:

I was very glad to hear from you, and to receive so many sidelights on WEIRD TALES, whose chosen field makes me very eager for its success. I know the financial end of magazine publishing must be a tremendous and often discouraging responsibility, and I have a sincere respect for the pluck and determination of anybody who undertakes such a venture. Most certainly do I hope that some favourable turn will gradually transform your burdensome debt on the two magazines into an increasingly gratifying profit—and it seems to me that many facts warrant such optimism, for in the weird field you are practically alone and with a good start, whilst in the detective field there sees to be an insatiable demand for new material. Still, I know that marketing is a venturesome and uncertain process—especially with dealers in the unscrupulous state of mind you describe!"


Weird Tales (Vol. 23, Iss.5), 1934, Cover von Margaret Brundage, gemeinfrei.

Jedenfalls wollte Henneberger diesen Lovecraft noch 1924 als Chefredakteur nach Chicago holen - allerdings war der gerade nach New York umgezogen und hatte wohl andere Pläne;

man müsste die letzten Briefe nochmal genauer durchforsten. Nichtsdestotrotz gehören seine Werke natürlich bis heute zu den berühmtesten Hinterlassenschaften von Weird Tales, darunter seine Premiere im Oktober 1923: Dagon. Da sprach plötzlich ein Erzähler der besonderen Art, der Mythologisches und Unheimliches ohne Kitsch verbinden konnte.


Nur bedeutete das noch lange nicht den Durchbruch - weder für Henneberger noch Lovecraft. Heute ist der "Cthulhu-Mythos" natürlich eine lukrative Marke und Teil der Gegenwartskultur, aber auch Lovevcraft musste damals mit seiner Frau um seine Existenz kämpfen.


Bis 1954 konnte sich Weird Tales mit dem sympathischen Beinamen "The Magazine that Never Dies" unter wechselnden Inhabern halten. Aber es wurde mehrfach wiederbelebt, erfuhr 2007 ein komplettes Redesign, wurde 2009 mit einem Hugo Award ausgezeichnet, und ist heute in digitaler Ausgabe #365 hier zu erreichen, designt von Lynne Hansen. Dass die Cover von einer Frau stammen, ist heute nix Besonders, aber das war in der männerdominierten Verlagsbranche der 30er recht ungewöhnlich: Sie wurden für Weird Tales zwischen 1933 und 1945 u.a. von Margaret Brundage (1871-1976) gezeichnet.

5 Comments


Jutz
Jutz
Jun 18, 2023

Danke für den tollen Beitrag. Habe jetzt größeres Interesse an Weird Tales als vorher (hatte das bisher nur grob in Verbindung mit HP Lovecraft aufm Schirm) Best of Weird Tales ist so gut wie bestellt. Freu mich schon drauf.

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JudgeMeByMyJumper
JudgeMeByMyJumper
Apr 20, 2022

Das Magazin, das niemals stirbt... Da fällt mir noch eines ein.

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Jörg Luibl
Jörg Luibl
Apr 20, 2022
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Stimmt, Spielvertiefung lebt seit November einfach weiter - bald ein unfassbares halbes Jahr alt!😎

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Kindra
Kindra
Apr 19, 2022

Das war definitiv eine Hassliebe zwischen Lovecraft und WEIRD TALES. Obwohl Wright des Öfteren Lovecrafts Geschichten ablehnte, darunter auch so Banger wie Berge des Wahnsinns und Innsmouth, konnte er es nicht lassen, es bei ihm zu versuchen. Wie denn auch? Es war eine seiner wenigen Einnahmequellen.


Man hätte in einem solchen kurzen Überblick zu WEIRD TALES vielleicht noch den Rassismus ansprechen können, den das Pulp-Magazin durchzogen hatte. Das N-Wort war ein ständiger Begleiter der frühen Ausgaben.

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Jörg Luibl
Jörg Luibl
Apr 20, 2022
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Ja, da gibt es einige Anekdoten aus den Briefen von Lovecraft. Die sind ja ohnehin ein eigener Berg an Literatur, den ich mal durchwühlen wollte - unfassbare 20.000 Briefe, wenn ich nicht irre. Man hätte so vieles noch ansprechen können, aber bei diesen Erkundungen reicht es nur zur Oberfläche. Ich bin noch nicht so tief in die Geschichte der Weird Tales abgetaucht, aber da der Rassismus schon in den 20ern die komplette Gesellschaft durchzog, dürfte er leider auch Teil der Pulp-Geschichte sein. Man müsste mal recherchieren, ab wann es da auf Redaktionsebene ein Umdenken gab.

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